Inspector Barnaby 06 - Ein sicheres Versteck
sollte. Das wäre der erste Schritt, um ihr Gewissen zu entlasten. Sie brauchte nur zur Bank zu gehen, um diesen Betrag abzuheben. Dort kannte man sie, und sie hatte genug auf ihrem Girokonto. Und wenn noch weitere Forderungen kämen, könnte sie den restlichen Schmuck ihrer Mutter verkaufen. Wäre das nicht zumindest ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit? Über diese deprimierende Schlussfolgerung hätte sie am liebsten geweint.
In jener Nacht nahm Ann eine Taschenlampe mit, um sich den Weg durch den Carter's Wood zu leuchten. Es gab dort einen kleinen Picknickplatz mit Holzbänken und zwei langen Tischen. Der Anrufer hatte ihr gesagt, sie solle das Geld in einem verschlossenen Umschlag und in eine Plastiktüte gepackt dort in die Abfalltonne werfen.
Sie hatte mehr Angst, etwas falsch zu machen, als aufgrund der Tatsache, dass sie allein zwischen den dunklen rauschenden Bäumen war. Eigentlich hatte sie keine Angst um ihre eigene Sicherheit. Denn der Erpresser würde doch kaum der Gans, die die goldenen Eier legt, etwas antun wollen. Und da er bestimmt nicht gesehen werden wollte, würde er auch nicht plötzlich auftauchen.
Es gab zwei Abfalltonnen. Eine war leer, und Ann ließ das Päckchen hineinfallen. Mit einem leisen Geräusch landete es auf dem Boden, und Ann fragte sich, ob er nahe genug war, um das zu hören. Ein kleines Tier schrie auf, als sie davonrannte.
* 4
Als ihr Mann nicht zur gewohnten Zeit von seinem Abendspaziergang mit dem Hund zurückkam, ging Mrs. Leathers ins Bett. So etwas kam gelegentlich schon mal vor. Dann kehrte er noch im Red Lion ein, wo die Sperrstunde ziemlich flexibel gehandhabt wurde, um ein bisschen Dart zu spielen und ein Bier oder eine Zigarette zu schnorren. Manchmal glaubte sie, er würde dort übernachten, wenn sie ihn ließen. Also schlief sie mit dem angenehmen Gefühl ein, dass der Platz neben ihr leer war.
Als sie aufwachte, war es im Zimmer ganz hell. Mrs. Leathers setzte sich blinzelnd auf und sah sich um. Dann griff sie nach dem Wecker. Zehn nach acht!
Mrs. Leathers stöhnte erschrocken auf und verließ eiligst das Bett. Charlie hatte noch nie vergessen, den Wecker zu stellen. Immer auf Punkt halb sieben. Und er stand auch nie auf, bevor er seinen Tee getrunken hatte.
Eher verwundert als besorgt zog Mrs. Leathers einen schäbigen Morgenmantel aus Plüsch über. Bevor sie das Zimmer verließ, warf sie noch einen Blick zurück, als ob ihr Mann durch die Bettritze gerutscht sein könnte. Das Bett wirkte riesig. Ihr war nie so richtig bewusst gewesen, wieviel Platz es einnahm.
Sie ging die schmale, gewundene Treppe hinunter in die Küche, wo der Gestank von Charlies Zigaretten die Luft verpestete und den Duft des Brotteigs überdeckte, der über Nacht in einer Schüssel auf dem noch leicht warmen Kohlenofen gehen sollte. Ganz automatisch füllte Mrs. Leathers Wasser in den Kessel und tat zwei Teebeutel in die Kanne.
Sie hatte sich nie für sonderlich phantasievoll gehalten, doch nun begannen ihre Gedanken wie wild zu rasen. Das kam von diesen vielen dummen Seifenopern, hätte Charlie gesagt. Die verdrehen dir den Kopf, Frau. Und es stimmte, die aufregenden Verwicklungen und Wendungen dieser Geschichten faszinierten sie immer wieder aufs Neue. Wenn das hier Fernsehen wäre, wäre ihr Mann mit einer anderen Frau abgehauen. Mrs. Leathers Herz, das bei der bloßen Vorstellung einen kleinen Hüpfer in ihrer flachen Brust getan hatte, kehrte rasch in die Realität zurück und schlug wieder an seinem normalen Platz. Denn wir wollen doch mal ehrlich sein, seufzte sie laut, welche Frau, wenn sie auch nur einigermaßen bei klarem Verstand ist, würde Charlie schon wollen?
Vielleicht war er heimlich in ein Verbrechen verwickelt und hatte verschwinden müssen? Das war zwar ein wenig wahrscheinlicher, andererseits war er so dumm, dass er vermutlich erst merken würde, dass es Zeit wurde zu verschwinden, wenn es zu spät war. Und mit wem sollte er unter einer Decke stecken? Mit einer Handvoll Saufkumpanen im Pub? Er hatte nämlich keinen einzigen richtigen Freund auf der Welt.
Der Kessel kochte über. Mrs. Leathers füllte die Kanne und rief: »Frühstück, Candy«
Doch der Hund kam nicht aus seinem Körbchen. Mrs. Leathers bückte sich leicht ächzend und sah unter den Tisch. Candy war nicht da. Das hieß, dass beide die ganze Nacht weggeblieben waren.
Weit mehr noch besorgt über die Abwesenheit des kleinen
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