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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Schlichtheit gut gebrauchen konnte.
    In dem Augenblick, als die Tür dumpf hinter ihm ins Schloß fiel, umgab ihn die Leere. Nicht die von St. Anne, sondern seine eigene. Das war der Grund, weswegen er Kirchen im allgemeinen mied. Er setzte sich hinten in eine Bank, nahm ein Meßbuch aus dem Ständer, schlug es auf, klappte es wieder zu und stellte es zurück. Die junge Frau in Watermeadows wollte ihm nicht aus dem Kopf. Nur daß ihr Gesicht jetzt von dem im Leichenschauhaus überlagert war.
    Er blickte durch das Kirchenschiff zum Altar hin und verspürte so etwas wie Angst, die ihm hochkam wie Galle. Diese Angstwelle, die ihn überflutete, schien weniger mit einer möglichen Gefahr in Watermeadows, sondern eher mit der Tatsache zu tun zu haben, daß es jemand wagte, eine solche Täuschung in die Tat umzusetzen, und daß ihm das so gut, so überzeugend gelang. Er blickte durch das Kirchenschiff hin zu dem Schattenmeer rings um den Altar.
    In seinem Job durfte er sich das nicht so zu Herzen nehmen, aber er konnte es nicht ändern. Man hatte ihn hereingelegt. Vielleicht rührte seine besondere Bitterkeit ja daher, daß es als eine Art Säuretest gelten konnte, wenn jemand es schaffte, einen Superintendent von Scotland Yard hinters Licht zu führen. Und dabei gab es keinen, auch nicht den geringsten Grund, daß ihm der Verdacht von heute schon gestern auf Watermeadows hätte kommen müssen.
    Das Double, der Doppelgänger; nur handelte es sich in diesem Fall nicht um Erscheinungen von Toten, welche die Lebenden heimsuchten. Er befürchtete, daß es auf gespenstische Weise andersherum war.

22
    E R NOTIERTE SICH DEN N AMEN des Maklers von dem Schild, welches das Haus zum Verkauf anbot. Wahrscheinlich wurde das Haus als äußerst reizvoll am Wasser gelegen angepriesen; dabei war Sadie Divers Wohnung nichts weiter als eine bessere Einzimmerwohnung, deren Prächtigkeit einzig daher rührte, daß sie über so etwas wie eine Küche verfügte. In diesem Fall war es eher eine Kochnische hinter einem schweren Vorhang anstelle einer Tür. Ein schmales Fensterchen ging auf rissigtrockene Erde und Baugrundstücke. Die Themse lag in einiger Entfernung, und nirgendwo gab es einen Weg, der dorthin geführt hätte. Die Anzeige enthält vermutlich die üblichen Übertreibungen, dachte Jury – «bezaubernder Blick auf die Themse», «kürzlich renoviert» und so weiter.
    Kühlschrank, Kochplatte, weißer Emailleausguß und Ablaufbrett, das war die ganze Kücheneinrichtung. Über dem Ausguß hing ein Geschirrständer mit drei Tellern unterschiedlicher Größe, zwei Tassen, drei Gläsern und etwas Besteck. Der Erkennungsdienst hatte die Wohnung zwar auseinandergenommen, aber Jury sah sich trotzdem vor, daß er nicht mehr anfaßte, als unbedingt nötig war. Er machte die Tür des Küchenschranks auf, indem er sein Taschenmesser unter den Chromknopf schob und zog. Spärlich, was da im Regal stand: noch ein paar Teller, Tassen und Gläser. In einer Ecke ein paar zusammenpassende Teller, alle mit schmalem Goldrand. Das gute Geschirr, vermutlich für Gäste.
    Jury ging durchs Wohnzimmer, wo nur das ausgezogene Bettsofa mit dem zerwühlten Bettzeug unordentlich wirkte, und ins Badezimmer. Es war klein, jedoch recht modern gelb und weiß gekachelt, die Monotonie wurde von einzelnen Kacheln mit aufgemalten Vögeln unterbrochen. Gelbe Armaturen, niedriges WC, Dusche. Es gab sogar eine abgetrennte Nische zum Wäschetrocknen. Auch das Arzneischränkchen über dem Waschbecken öffnete er mit dem Messer und fand ein paar Fläschchen, die ordentlich aufgereiht auf dem Glasbord standen. Er untersuchte den Ausguß in der Küche, dann den in der Dusche. Letzterer war mit einer beweglichen Aluminiumabdeckung versehen, die zum Auffangen der Haare diente. Vorsichtig nahm er sie mit der Kuppe von Daumen und Zeigefinger auf, musterte den Ausfluß eingehend und legte sie wieder an Ort und Stelle. Er schüttelte den Kopf.
    Im Wohnzimmer blickte er sich lange um: zerwühltes Bettzeug und Kissen auf dem Boden neben Tommys kleinem Koffer. Gegenüber vom Sofa stand an der Wand ein Bücherregal. Bei den wenigen Büchern handelte es sich um Thriller und Bildbände über London. Auf einem anderen Bord lagen säuberlich gestapelt ein paar Illustrierte. Die beiden Ausgaben von Country Life waren Monate alt und Staubfänger in dem sonst makellos sauberen Zimmer.
    Am anderen Ende des Zimmers stand eine Vitrine für Raritäten. Sie enthielt einen Vogel aus blauem Kristall,

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