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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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hätte anhören müssen, hätte ich Schreikrämpfe bekommen. Muß er die ganze Zeit solch eine Klagemusik spielen?»
    «Man hat gerade seine Schwester umgebracht, da dürfte ihm wohl kläglich zumute sein.»
    Dazu sagte sie weiter nichts als: «Na ja, wenigstens habe ich vor der ‹Waltzing Matilda› ein Weilchen Ruhe. Die steht mir inzwischen bis hier.» Ihr Blick war von der gewohnten unnachgiebigen Härte. «Die Polizei übrigens auch. Ich habe alles, was ich weiß, schon zweimal gesagt.»
    Jury hob die Schultern. «Das glauben Sie, aber manchmal vergißt man doch etwas. Beim erstenmal fallen einem schwerlich alle Einzelheiten ein. Und mit Tommy möchte ich auch reden.»
    «Sie können ihn durchaus noch einholen. Ich habe ihm Geld gegeben und ihn zum ‹Rubinroten Drachen› geschickt. Da geht es lebhafter zu als bei den meisten.» Ihre Augen waren immer noch auf den Lampenschirm geheftet, während sie die Borte etwas einkräuselte, damit Falten entstanden.
    Jury hätte nicht genau sagen können, was ihm an Ruby Firth mißfiel. Gewiß, sie hatte Tommy Diver hilfreich bei der Hand genommen, aber er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie diese losließ und nach etwas griff, wonach ihr im Moment mehr der Sinn stand, wie jetzt nach dem Gin Tonic. Trug sie nun eine ironische Maske, oder würde sie diese fallen lassen wie vorher ihre Hand und würde dann darunter nur eine neue Maske zum Vorschein kommen? Er spürte Kälte, einen Schatten, der sich schon in der Kirche über ihn gelegt hatte.
    Ob Ruby Firth zu einer echten Bindung fähig war? Wie kam es, daß sie so obenhin auf Simon Leans Tod reagierte? Schwer zu sagen, ob das gespielt war. Roy Marsh andererseits gelang es nicht, seine Gefühle für sie zu verbergen. Jetzt hielt sie den Lampenschirm auf Armeslänge von sich und betrachtete das Werk ihrer Hände, als wäre er Luft für sie.
    In dem Blick, mit dem sie ihn ansah, als der Name Roy Marsh fiel, lag Abwehr. Ungeduldig sagte sie: «Ich kenne ihn seit Jahren. Was um alles in der Welt hat das mit dem Fall zu tun?»
    Als käme Marsh, weil sie ihn jahrelang kannte, als Mann nicht mehr in Betracht. «Hat er Sadie Diver gekannt?»
    «Durchaus möglich.» Sie hob die Schultern. «Fragen Sie ihn doch.»
    «Ich frage Sie. Ich glaube, Sie wissen es.»
    Sie hatte sich ein längliches Stück rotbraunen Satin aus dem Nähkorb geholt. Jury bezweifelte, daß diese Handarbeit ausgerechnet jetzt und hier gemacht werden mußte. Ruby Firth mußte wirklich eine kalte Frau sein, wenn ein Fetzen Satin und Borte sie von einem Mord abzulenken vermochten, einem Mord, in den zwei Männer verwickelt waren, mit denen sie intim gewesen war. «Vom Sehen sicherlich. Schließlich ist Narrow Street nur um die Ecke. Und in die ‹Fünf Glocken› sind wir auch gegangen.»
    «Anscheinend war sie bei Männern beliebt. Diesen Eindruck hatte ich jedenfalls im Pub.»
    Ihre Augen blickten auf und trafen sich mit seinen; ihre wirkten leicht belustigt. «Falls Sie damit andeuten wollen, daß er mir ihretwegen den Laufpaß gegeben hat, also, normalerweise passiert mir so etwas nicht, Superintendent.» Das wurde noch durch das Geräusch reißenden Satins betont. Und doch schwang in dieser trotzigen Bemerkung etwas anderes mit, etwas Gereiztes, als risse ein Geduldsfaden, wie eben das Stück Stoff, das nun gefaltet im Nähkorb lag.
    «Ich muß zu der Vernissage.» Sie schob den Korb beiseite und stand auf. In dem streng geschnittenen schwarzgrünen Kleid wirkte sie genauso schmal wie der Wandleuchter, vor dem sie stand.
    So naiv war sie doch wohl nicht, daß sie glaubte, sie könnte ihn so barsch abwimmeln wie vorher seine Fragen über Roy Marsh? Doch Jury ließ es durchgehen, ließ sie selber gehen. «Tut mir leid, wenn ich Sie aufgehalten habe. Sie stehen natürlich weiterhin zu unserer Verfügung. Die Polizei von Wapping hat sicher noch ein paar Fragen an Sie.» Er stand auf und wollte gehen. «Wo ist nun dieses Restaurant?»
    «In Pennyfields. Rechts um die Ecke, und dann ist es gleich … Superintendent?»
    Jury hatte die Hand bereits auf dem Türknauf. «Ja?»
    «Fährt er heute abend nach Gravesend zurück? Oder morgen?»
    «Tommy? Wahrscheinlich werden ihn Onkel und Tante recht bald abholen. Wann genau, weiß ich nicht. Können Sie nicht –» Jetzt spürte Jury ihr Unbehagen; die Pose, die sie vor der schmalen Stehlampe eingenommen hatte, drohte zu zerbrechen. Der Rest seiner Frage – nur noch eine Nacht länger durchhalten? –

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