Inspector Jury bricht das Eis
dem Verhältnis, das Edward Parmenger mit seiner Schwägerin gehabt hatte. Sie können sich jetzt vielleicht vorstellen, warum er so außer sich geriet.»
«Hat Parmenger Ihnen das erzählt? Aber warum bloß?»
«Mr. Jury, ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen …»
«Daran habe ich keinen Augenblick gezweifelt», sagte Jury.
Entweder bemerkte sie seinen eisigen Tonfall nicht, oder es war ihr gleichgültig, weil sie nun wieder die Oberhand zu haben glaubte.
«Als ich ihm mitteilte, was mit Helen los war …»
« Sie teilten es ihm mit?»
«Ja, natürlich. Warum? Das Mädchen konnte ja wohl kaum auf der Schule bleiben, wo denken Sie hin. Die Familie mußte benachrichtigt werden.»
«Aber das wäre doch wohl Aufgabe der Schuldirektorin gewesen, oder?»
Sie schien über seinen Einwand ernsthaft nachzudenken. «Daran hab ich natürlich auch gedacht. Aber schließlich – man möchte einem jungen Mädchen in dieser Situation soviel wie möglich ersparen …»
«Man möchte», sagte Jury, «es auch zu was bringen.» Er kam ihrem Protest mit einer weiteren Frage zuvor: «Und Edward Parmenger hat Ihnen dann erzählt, welche Familienbande zwischen Helen und Frederick bestanden? Das überrascht mich.»
Annie Brown zuckte die Achseln. «Die Sache hat ihn wohl etwas aus dem Gleichgewicht gebracht. Und ich bin eben ein Mensch, dem sich die Leute gern anvertrauen. Helen hat das ja auch getan.»
Das schien die Wahrheit zu sein. Jury hatte auch den Eindruck, daß es sich bei dieser Dame um ein vielseitiges Chamäleon handelte, das es offensichtlich verstand, sich bei allen möglichen Leuten einzuschmeicheln.
«Mein Eindruck von Mr. Parmenger war, daß er sich die Sache einfach vom Hals schaffen wollte. Gar kein Mann von großer Charakterfestigkeit. Er tobte wie ein Berserker. Ich hatte das Gefühl, daß sein Sohn sehr viel mehr Charakter besaß. Auf seine Art. Zumindest war er fest entschlossen zu kriegen, was er wollte.» Sie lehnte sich auf ihrem alten knarrenden Stuhl zurück. «Sie sehen ja, wie weit er es gebracht hat.»
«Ja, in der Tat, Miss Hargreaves-Brown», sagte Jury diplomatisch. «Es wäre allerdings zwecklos, ihn unter Druck zu setzen. Kein Pfennig würde dabei herausspringen. Er ist der Typ, der sich der Meute stellt.»
Ihre Augen wurden hart. «Was wollen Sie damit sagen?»
«Erzählen Sie lieber weiter von Helen.»
«Nun … ich wollte eben gern Schulleiterin werden. Und ich brauchte Helen nur so lange zu behalten, bis das Kind geboren war, dann sollte ich mich um die Adoption kümmern und Helen wieder nach Hause schicken.»
Wie ein Paket mit Stempel «Annahme verweigert», dachte Jury. «Kein Wunder, daß sie hier aufgetaucht ist.»
«Eine unangenehme Situation, das können Sie mir glauben. Wir hatten ausgemacht, daß sie nie wieder hierher zurückkommen sollte. Mr. Parmenger hat sie gleich danach auf eine Weltreise geschickt.»
«Wenn man unglücklich ist, fühlt man sich überall elend.»
Miss Hargreaves-Brown zuckte die Achseln. «Ein dummes, unerfahrenes Ding. Sie hätte heiraten, sich irgendwo niederlassen und Kinder kriegen sollen.»
«Sie hatte bereits eins. Sie haben ihr kein Wort gesagt, stimmt’s?»
«Ja. Sie halten mich wohl für ein Ungeheuer, weil ich mich auf diese Sache eingelassen habe. Mal abgesehen von dem moralischen Aspekt – glauben Sie, sie hätte sich besser gefühlt, wenn ich ihr erzählt hätte, daß das Kind, na ja, zurückgeblieben ist? Ein erblich bedingter Defekt. Sie waren zu nahe verwandt.»
«Ammenmärchen.»
«Ammenmärchen enthalten oft sehr viel Wahres», fuhr sie ihn an.
«Und was war mit Danielle Lyte?»
Sie zuckte zusammen. Jury gewann wieder die Oberhand. «Eine junge Frau und ihr Mann – ein Alkoholiker, was ich leider zu spät herausfand – erklärten sich bereit, Robin zu nehmen. Natürlich nur gegen eine stattliche Summe.»
«Das ist also das Geld, mit dem der Mann abgehauen ist? Und Sie haben Robin dann wieder zu sich genommen, als Danielle starb. Die Kinder scheinen hier ja von Hand zu Hand zu gehen!»
Sie hatte das Kinn auf die gefalteten Hände gestützt und lächelte dünn. «Wie gesagt, ich bin nicht herzlos. Natürlich hat ihn die Schule wieder aufgenommen. Wer hätte es sonst tun sollen? Aber als er alt genug war, um selbst für sich zu sorgen, konnten wir ihn nicht länger behalten. Sechzehn ist unsere Altersgrenze, es sei denn, es bestehen außergewöhnliche Umstände.»
«Komisch, ich hätte in seinem Fall eigentlich genau
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