Inspector Jury bricht das Eis
gegen ihn zur Wehr setzen können?» Er stellte sein Glas neben den Sessel auf den Boden und machte es sich bequem.
«Er hat ihr aber ziemlich viel Geld und auch das Haus hinterlassen. Hat ihn vielleicht doch das Gewissen geplagt?»
Parmenger ging nicht darauf ein. «Wer spricht denn von Geld? Helen hatte sehr viel kreative Energie, fand aber keine Ausdrucksform. Ich brachte ihr sämtliche Fertigkeiten bei, die ich selbst beherrschte. Wir versteckten uns auf dem Dachboden, um dort zu malen. Ich war schon immer Maler – schon seit ich überhaupt in der Lage war, einen Stift zu halten.» Er sagte das mehr zu sich selbst als zu Jury. «Selbst wenn ich mich auf etwas anderes verlegt hätte, wäre ich … aber das ist idiotisch. Wunsch und Begabung müssen Hand in Hand gehen. Dieser Dachboden …» Er sah zur Decke hoch, als gäbe es ihn immer noch, ein paar Stockwerke über ihnen, von der Zeit verschont – hier in Helens kleinem Cottage, «… diesen Dachboden durchflutete an schönen Tagen das Sonnenlicht. Wir saßen direkt am Fenster. Es hatte die Form eines gotischen Kirchenfensters, und ganz oben waren kleine rote Scheiben eingesetzt. Wenn die Sonne da durchfiel, waren unsere Gesichter und Arme rot gesprenkelt. Ich habe Helen oft beobachtet, wie sie sehr konzentriert vor einem Bild saß, das blasse Gesicht voll blutroter Flecken. Wir malten, was wir vom Fenster aus sahen: die Baumwipfel auf dem Eaton Square; die Gärten; die Leute, die unten auf den Parkbänken saßen.» Er hielt inne. «Ist alles schon sehr lange her.»
Jury ließ ihn noch ein Weilchen in der Vergangenheit verweilen, bevor er erwiderte: «Sie sagten doch, Helen hätte Sie nicht besonders gemocht. Den Eindruck habe ich aber nicht.»
Parmenger leerte sein Glas und stellte es neben sich auf den Boden. «Das war später. Wir haben uns zerstritten.»
«Worum ging es?»
«Geht Sie das was an?» Parmenger erhob sich aus seinem Sessel, trat an die Verandatür und starrte in den verschneiten Garten hinaus.
«Allerdings. Ich will Ihnen sagen, worum es ging: Sie hatte etwas herausgefunden. Kennen Sie zufällig Miss Hargreaves-Brown, die Leiterin der Bonaventura-Schule?»
Frederick Parmengers Antwort kam zögernd. «Nein, noch nie von ihr gehört. Worauf wollen Sie hinaus?»
«Helen wollte damals wohl keine direkten Fragen stellen, um niemanden in Verlegenheit zu bringen. Aber ich glaube, sie hat gefunden, wen sie suchte.»
«Wen?»
«Ihren Sohn.»
Parmenger drehte sich langsam um. Er schien vulkanische Kräfte zu besitzen, obwohl der Whisky seine Sinne getrübt hatte. Während er sah, wie sich Parmengers Gesichtsausdruck veränderte, mußte Jury an einen aufkommenden Sturm, einen grauen, bleiernen Himmel denken. Parmenger blickte entsetzt.
«Es ist Ihr Sohn, Mr. Parmenger. Ich weiß Bescheid. Kommen Sie, setzen Sie sich, bevor Sie mir hier noch umkippen.»
Parmenger ließ sich wieder in den Sessel fallen und verbarg das Gesicht hinter seinen verschränkten Händen. «Ich wußte nichts davon, zumindest damals nicht. Helen war …» Er verstummte, unfähig, es auszusprechen.
«Ihre Halbschwester. Ist mir bekannt.»
Parmenger stand wieder auf und ging zur Vitrine mit den Getränken. «Sie sind verdammt gut informiert, Superintendent.»
«Miss Hargreaves-Brown – oder schlicht Annie Brown – hat mir das alles erzählt.»
Parmenger erbleichte. «Dieses Miststück. Mein bigotter Vater hat ihr genügend Geld gegeben, damit sie den Mund hält.»
«Sie ist auch nicht gerade mein Fall. Wie haben Sie denn herausgefunden, was zwischen Ihrem Vater und seiner Schwägerin vorgefallen ist?»
«Einer seiner überaus liebenswürdigen Kollegen war damit beauftragt worden, mir nach dem Tod meines Vaters diese freudige Nachricht zu überbringen. Wahrscheinlich damit ich in Zukunft die Finger von Helen lasse –» Er schien mit seinen Blicken den Raum abzusuchen, die immer dunkler werdenden Schatten durchdringen zu wollen, und meinte schließlich fassungslos: «Von meiner Schwester …» Jury meinte, in diesen Worten einen schrillen, hysterischen Ton mitklingen zu hören. Doch Parmenger hatte sich sofort wieder in der Gewalt, wie das wahrscheinlich bei jeder Gefühlsaufwallung der Fall war, die er sich nicht leisten konnte.
«Wie können Sie nur sich die Schuld geben? Sie wußten doch gar nicht–»
«Hören Sie auf, Mann! Ich brauche das Beileid der Polizei nicht. Ich hab ihr Leben ruiniert.»
«Helens Leben ruiniert? Vielleicht hat sie ja Ihres
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