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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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worden, der offensichtlich dazu diente, die wogenden Massen darunter ein wenig zu bändigen. Jury bemerkte, daß ihre übliche schwarze Garderobe heute durch modische Strümpfe ergänzt wurde, die mit winzigen schwarzen Schmetterlingen verziert waren.
    Fiona ließ ihre Puderdose mit einem kleinen Klicken zuschnappen und schenkte Jury ein strahlendes Lächeln. Dazu schlug sie herausfordernd ihre schick bestrumpften Beine übereinander, wodurch der Saum ihres Kleides ein paar Zentimeter nach oben rutschte. «Ich finde, es ist eine Schande, Sie so einfach aus Ihren Weihnachtsferien zurückzupfeifen. Wann haben Sie eigentlich das letzte Mal so richtig Urlaub gemacht?»
    «Mit fünf. Da war ich in Brighton und habe Sandburgen gebaut. Aber keine Sorge. Ich mußte sowieso zurückkommen. Ist Wiggins im Lande?»
    Sie nickte. «Ich hab ihn vor einer Weile im Gang rumschleichen sehn. Brauchen Sie ihn?»
    «Ja, er könnte mir helfen.»
    Sie seufzte. «Manchmal glaube ich, da sind Sie der einzige. Außer Ihnen scheint keiner mit ihm zusammenarbeiten zu wollen. Armer Al.»
    Jury lächelte. «Vielleicht haben die anderen Angst, sich anzustecken.» Er warf einen Blick auf Racers Tür. «Vermutlich hat er mich schon vor zwei Stunden erwartet?»
    Sie zog eine Grimasse. «Jetzt wird er Ihretwegen zu spät zum Lunch in seinem Club erscheinen. Sie wissen doch, wie er es haßt, wenn er nicht Punkt zwölf seinen Whisky-Soda bekommt.»
     
    Kein Fall hatte Scotland Yard mehr Rätsel aufgegeben als Racers geheimnisvoller Aufstieg zum Chief Superintendent. Man hatte lange von Vetternwirtschaft gemunkelt, denn irgend jemand hatte herausgefunden, daß Racers Frau mit einem hohen Tier verwandt war. Dann war die Mär umgegangen, er wolle seinen Abschied einreichen. Und nun lag ein neues Gerücht in der Luft, und dieses Gerücht stank zum Himmel – es hieß, daß Racer die Treppe noch weiter hinauffallen und zum Deputy Assistant Commissioner ernannt werden sollte.
    Die Aussicht, daß Racer seinen Mund bald noch weiter aufreißen durfte, schreckte alle außer Jury, der sich bereits daran gewöhnt hatte, wie Sisyphus seinen Stein den Berg hinaufzurollen, bis Racer ihm kurz vor dem Gipfel ein Bein stellte.
    Als Jury eintrat, schlüpfte Cyril unbemerkt durch die Tür und nahm seinen Lieblingsplatz auf dem Fensterbrett hinter Racers Schreibtisch ein. Racer verabscheute «das räudige Vieh», wie er zu sagen pflegte. Cyril war alles andere als räudig. Er hatte weiße Pfoten und ein kupferfarbenes Fell, das er ausgiebig pflegte, wenn er nicht gerade damit beschäftigt war, den Chief Superintendent zu überlisten.
    Racer nahm gerade seinen nagelneuen maßgeschneiderten Mantel vom Kleiderständer. Es war Zeit für den Lunch in seinem Club. «Sie sind’s!» Es klang, als bräche mit Jurys Erscheinen eine Naturkatastrophe über ihn herein. Er zog den eleganten Mantel über seinen perfekt sitzenden Maßanzug und fügte mit samtweicher Stimme hinzu: «Was für ein Jammer, daß wir Sie aus Glasgow, oder wo immer Ihre Schwester wohnt, zurückbeordern mußten, nicht wahr?»
    Jury machte keinerlei Anstalten zu gehen, im Gegenteil, er setzte sich. Daß Racer seinerseits im Aufbruch war, kümmerte ihn nicht im geringsten. «Cousine. Und sie wohnt in Newcastle, nicht in Glasgow.»
    «Welch ein Pech für die armen Glasgower», höhnte Racer. Dann wütete er: «Sie sollten sich heute morgen bei mir melden. Jetzt habe ich keine Zeit, ich muß zum Lunch.»
    «Heute morgen saß ich noch im Zug.»
    «Wenn Sie schon einmal in Urlaub gehen, können Sie da nicht wenigstens die Bezirkspolizei in Ruhe lassen? Sie haben Ihre Nase in deren Angelegenheiten gesteckt. Sie sollten es eigentlich besser wissen.»
    Jury ließ sich Zeit für seine Antwort und sah aus dem Fenster. Cyril saß in majestätischer Ruhe da, den Schwanz um die Vorderpfoten drapiert. Sein Fell glänzte im fahlen Licht der Wintersonne. An der Wand neben dem Fenster hing das offizielle Porträt der Königin. Jury überlegte verträumt, ob Cyril immer noch dort sitzen würde, wenn alle Könige dieser Erde schon längst zu Staub zerfallen wären.
    «Nun?» polterte Racer. «Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit, Mann!»
    Jury erwachte aus seinen Träumereien von katzenhafter Anmut, «’tschuldigung. Ich bin dort in Tyne und Wear auf etwas gestoßen, das wir uns ein bißchen näher ansehen sollten.»
    Die Nachahmung eines Lächelns spielte um Racers Lippen. Wenn es etwas gab, das ihn mehr erfreute als der Lunch im

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