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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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polyglottem Saufen in London, auf dem Kontinent und in Amerika, wo er Agatha kennengelernt hatte. Vielleicht war Agatha früher einmal hübsch und lustig gewesen, aber Melrose konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern oder es sich auch nur vorstellen. «Worauf willst du eigentlich hinaus?»
    «Einfach darauf, daß Elizabeth St. Leger und ich uns bei der einen oder anderen Gelegenheit begegnet sind, und daß ich mir dachte, es wäre nett, sie mal anzurufen.»
    Alarmiert setzte Melrose sich auf; ihm schwante Übles. «Und warum hast du das getan, Agatha?» Als ob er das nicht schon wüßte.
    «Nun ja, als wir gestern über sie sprachen, hab ich eben gedacht, es wäre schön, eine alte Freundschaft aufzufrischen. Du solltest eines von diesen Rosinenbrötchen probieren, Plant. Sie sind Martha diesmal viel besser gelungen als sonst. Wahrscheinlich hat sie meinen Rat befolgt, das Backpulver …»
    «Vergiß das Backpulver. Worüber habt ihr beide gesprochen?»
    «Oh, über dies und das. Und weißt du was? Als ich diese Party erwähnte, und daß mein Neffe dazu eingeladen sei, hat sie geradezu darauf bestanden, Charlie Seaingham anzurufen –»
    Sie hatte bis gestern noch nie von dem Mann gehört, und jetzt nannte sie ihn schon «Charlie».
    «– und dann hat er darauf bestanden, daß ich mitkomme, und, na ja …» Sie hob die Hände in einer hilflosen Geste, die ausdrücken sollte, daß sie es eben einfach nicht übers Herz brachte, eine freundschaftliche Bitte abzuschlagen.
    Melrose betrachtete verdrossen diese Klette, die nun ein weiteres Rosinenbrötchen mit Marmelade bestrich und sich die Hälfte davon auf einmal in den Mund stopfte. «Das heißt also, daß du auch bei den Seainghams sein wirst.»
    «Nun, unter Künstlern und Schriftstellern bin ich gewiß nicht fehl am Platz.»
    «Wie schön. Ich dagegen werde mich höchstwahrscheinlich ziemlich fehl am Platze fühlen.»
    «Du schreibst ja auch nicht, mein lieber Plant.»
    Er blickte sie über seine Goldrandbrille hinweg an. «Willst du mir etwa erzählen, daß du immer noch an diesem Krimi schreibst, Agatha? Ich meine deinen ‹semidokumentarischen Roman› über die seltsamen Vorgänge damals in Long Pidd. Das ist vier Jahre her, und ich habe noch keine einzige Zeile gesehen.» Er widmete sich wieder seiner Times.
    «Ich habe beschlossen, einen Artikel für die Long Pidd Press zu schreiben. Das heißt, es soll eigentlich eine Kolumne werden. Der Gedanke kam mir, als ich mich einmal per Leserbrief darüber beschwert habe, daß diese Withersby wieder sturzbetrunken mitten auf der Hauptstraße rumlag.»
    «Mrs. Withersby ist meistens sturzbetrunken, aber ich sehe nicht, was dich das angeht. Außerdem bringt die Long Pidd Press nicht gerade die heißesten Nachrichten. Ich kann mir jedenfalls Interessanteres vorstellen als die prächtige Rosenzucht des Vikars oder die Ermahnungen, keine Bierflaschen in den Pidd River zu werfen. Wie soll deine Kolumne denn heißen?»
    «Ich dachte, ich nenne sie vielleicht ‹Augen und Ohren›.»
    «Das spricht bestimmt viele an. Augen und Ohren hat schließlich jeder.»
    «Sei nicht so miesepetrig. Es soll eine Art soziologische Studie über Long Pidd werden. Immerhin ist es ein sehr altes Dorf, eines der ältesten in Northants. Und wenn ich die Leute interviewe und – tja, Augen und Ohren offenhalte …» Sie lachte verschmitzt.
    «Klatsch, mit anderen Worten», sagte Melrose.
    «Das ganz gewiß nicht! Ich kann wohl Besseres mit meiner Zeit anfangen.»
    «Ich auch», sagte Melrose und raschelte mit seiner Times.
     

D RITTER T EIL
    S CHAUPLATZ L ONDON

7
    Der Kater Cyril saß auf dem Fensterbrett hinter Fiona Clingmores Schreibtisch und beobachtete einen kleinen Käfer, der sich abmühte, vom Fensterrahmen in die lichteren Gefilde der Scheibe hinaufzukrabbeln, ohne zu ahnen, welch grausames Schicksal Cyril ihm zugedacht hatte. Chief Superintendent Racer hätte darin einen zutreffenden Analogiefall gesehen, dachte Jury – er, Racer, läge auf der Lauer, um Jury, den Käfer, in einem passenden Augenblick zu zerquetschen.
    Fiona Clingmore, Racers Sekretärin, saß wie gewohnt auf ihrem Stuhl und widmete sich ihrer vormittäglichen Schönheitspflege. Es war eine erschöpfende Prozedur, die nicht einfach nur darin bestand, daß man etwas Rouge auftrug und sich das Haar toupierte, sondern vielmehr einer vollständigen Außenrenovierung gleichkam. Ihr schwarzes Wollkleid war über der Brust mit einem neuen Abnäher versehen

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