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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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und betrübt. Beim Anblick von Jurys Ausweis wurde ihre Miene noch trauriger. Ja, sie sei von der Polizei in Northumbria benachrichtigt worden. Die Eingangshalle hinter ihr lag im Dunkel, nur die trüben Strahlen einer Hängelampe mit Rauchglasschirm erhellten die Finsternis.
    Ihr Name, sagte sie, sei Maureen Littleton, und sie sei die Haushälterin. Das überraschte Jury – sie war wirklich noch ausgesprochen jung. Er entschuldigte sich für die späte Störung und drückte sein Bedauern über die Umstände aus, die sie hierher geführt hatten. Doch vielleicht wäre es besser gewesen, sich weniger mitfühlend zu zeigen. Denn als Wiggins zu allem Überfluß auch noch sein Taschentuch hervorzog, war das Mädchen den Tränen gefährlich nahe. Um sie abzulenken, bat Jury um eine Tasse Tee.
    «Sergeant Wiggins scheint krank zu werden, und mir täte eine Tasse auch ganz gut. Vielleicht könnten wir uns in der Küche unterhalten?»
    Jurys sanftes Drängen und die Aussicht, eine kleine Routinearbeit zu erledigen, ließen Maureen bald ihre Selbstbeherrschung zurückgewinnen. Die warme, vertraute Umgebung der Küche im Souterrain tat ein übriges.
    Bei der Zubereitung des Tees verschonte Jury sie mit unbequemen Fragen. Sie plauderten einfach über das Wetter und darüber, daß die Kinder sich wohl auf das schönste Weihnachtsgeschenk überhaupt freuen konnten: auf Schnee.
    Sie nahmen an einem runden Tisch im Wohnzimmer der Haushälterin Platz, wo ein wärmendes Kohlenfeuer glühte. Maureen schenkte den dampfenden Tee in andächtigem Schweigen ein, ein Schweigen, das ihr bei dieser rituellen Handlung offenbar geboten erschien. In dem helleren Licht im Wohnzimmer wirkte sie älter, als Jury zunächst gedacht hatte, aber das mochte zum Teil auch an ihrer altmodischen Frisur liegen – sie trug ihr dunkelbraunes Haar ringsherum zu einer Rolle hochgesteckt wie eine Gouvernante aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Dazu kamen das ungeschminkte Gesicht und, natürlich, die streng geschnittene Uniform. Diese hätte gut und gern eine ganz persönliche Form von Trauerkleidung sein können.
    «Wie lange sind Sie schon bei Miss Minton?»
    «Nun, eigentlich waren die Parmengers meine Dienstherren. Ich bin seit neunzehn Jahren hier im Haus. Helen – Miss Minton – war Mr. Parmengers Mündel. Ich war damals noch sehr jung. Ich habe als Küchenmädchen angefangen. Damals lebte Mr. Edward Parmenger noch. Mr. Frederick ist sein Sohn. Der Maler. Wir waren damals vier Bedienstete.» Es klang, als spräche sie über eine längst vergangene Epoche. «Es war zu der Zeit, als Miss Minton aufs Internat kam.»
    Wiggins wollte schon sein Notizbuch zücken, steckte es aber auf Jurys Kopf schütteln hin wieder ein und zog statt dessen eine Tüte mit Hustenbonbons hervor.
    «Sie kam also aufs Internat. Und Mr. Frederick?»
    «O nein, Sir. Der ging in London zur Schule.»
    Maureen Littleton konnte damals nicht viel älter als Helen Minton gewesen sein. «Ihr Dienstherr war also Helens Vormund.»
    Maureen nickte. Ihr Gesicht nahm hinter dem Dampfschleier, der aus ihrem Teebecher aufstieg, wieder einen verschlossenen und traurigen Ausdruck an.
    «Kannten Sie Miss Mintons Eltern?»
    «Nur ihre Mutter. Ihren Vater nicht.»
    «Schien ihr Onkel sie – gern zu haben?»
    Sie senkte den Blick auf ihre Tasse, noch Jahre über den Tod des älteren Parmenger hinaus die treue Dienerin. Maureen war offensichtlich keine Klatschbase, schon gar nicht unter Umständen wie diesen. «Er war ein sehr … strenger Mann –»
    Eine vorsichtige Umschreibung für Leuteschinder oder Sklavenhalter, dachte Jury.
    «– und zeigte selten Gefühle, außer –»
    Als sie stockte, half Jury nach: «Außer?»
    Sie zuckte leichthin die Achseln, während sie Sergeant Wiggins, der ihr seine Tasse hinhielt, Tee nachschenkte. «Nun ja, ab und zu konnte er schon ein bißchen wütend werden.»
    Ein Choleriker, mit anderen Worten. Aber Maureen ließ sich nicht dazu bewegen, weiter ins Detail zu gehen. «Was Miss Helen betrifft – ich glaube, die anderen Bediensteten und ich haben nie ein böses Wort von ihr zu hören bekommen. Weder als sie jung war, noch als sie …» Wieder mußte sie das Gesicht abwenden.
    «Es ist doch ein wenig seltsam, daß Mr. Parmenger das Haus Helen Minton und nicht seinem eigenen Sohn vermacht hat.»
    Maureen sah das nicht so. «Sehen Sie, Mr. Frederick …» Sie machte eine Handbewegung, als wäre Mr. Fredericks berufliche und finanzielle Stellung Erklä rung

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