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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Rudolph lebt nicht mehr.» Ihre Augen verschleierten sich. Sie waren von einem irisierenden Perlgrau wie das kristallene Cognacglas in ihrer Hand.
    «Sie starben beide zur gleichen Zeit?»
    «Ja, an Malaria. Es war in Kenia. Die beiden reisten viel.»
    Insgeheim dachte Melrose, daß er schon sehr großes Fernweh würde haben müssen, bevor es ihn nach Kenia triebe. Er dachte sehnsüchtig an Ardry End und starrte Vivian an, die sich mit Charles Seaingham unterhielt. Sie blinzelte und winkte ihm zu, schien aber kaum zu bemerken, daß er ihre Zeichen nicht erwiderte.
    «… Safari.»
    Melrose erwachte aus seinen Träumen. «Verzeihung … Toms Eltern waren auf einer Safari?» Er rutschte tiefer in seinen Sessel.
    «Ja. Sie starben auf einer Safari.»
    «Und er war erst zehn? Das muß eine traumatische Erfahrung für ihn gewesen sein.» Melrose begann heftige Abneigung gegen Toms Eltern zu empfinden. Dagegen schien es ihm weitaus ehrenwerter, sturzbetrunken im offenen Sportwagen von einer Eisenbahn überrollt zu werden.
    «Es war schlimm für Tom. Besonders der Tod seines Vaters, glaube ich. Jedenfalls haben sie uns den Jungen hinterlassen.»
    Es klang, als sei der junge Marquis von Meares ein testamentarisch vermachtes Erbstück. Melrose war nahe daran, für Beatrice Sleights Ansichten über den Adel Verständnis aufzubringen.
    «Ich fand sie manchmal ein wenig … leichtfertig», gestand Lady St. Leger leise.
    Gelinde gesagt, dachte Melrose.
    «Deswegen neige ich vielleicht dazu, in der Erziehung ein bißchen zu übertreiben und eher zu streng mit dem Jungen zu sein. Ich habe Tom sehr lieb; er ist ein guter Junge. Aber er hat eben auch einen Namen, dem er verpflichtet ist, und aus dieser Pflicht kann er sich nicht so einfach davonstehlen – oh, entschuldigen Sie bitte vielmals. Ich wollte Sie nicht verletzen.»
    Schon war sie wieder die feine Lady. Melrose akzeptierte ihre Entschuldigung, aber mit innerlicher Belustigung.
    Sie kam schnell auf ihre Pläne für ihren Neffen zurück, die ein Studium im Christ Church College in Oxford und eine Karriere als Arzt oder Jurist vorsahen. Und falls Tom partout den Bohemien spielen wollte – hier warf sie einen abfälligen Blick zu Parmenger und MacQuade hinüber, die auf Melrose keineswegs den Eindruck von Bohemiens machten –, dann sollte er sich in Gottes Namen eine Zeitlang als Musiker oder Schriftsteller versuchen.
    Armer Tommy Whittaker. Sein Leben schien bereits verbrieft und versiegelt und auf Bahnen gebracht, die schnurstracks in die Bürohochhäuser in der Londoner City führten und allenfalls einen kurzen Abstecher in den Bordellbezirk gestatteten.
    «Sie halten mich bestimmt für zu streng?»
    Melrose war ein wenig erstaunt, wie wichtig es ihr war, daß er ihre Erziehungsmaßnahmen billigte.
    «Darüber kann ich mir kein Urteil erlauben. Aber ich neige zu der Ansicht, daß jeder sein Leben so leben sollte, wie es ihm gefällt. Man lebt schließlich nur einmal.»
    «Aber genau das haben Toms Eltern ja getan. Allerdings habe ich wohl nicht das Recht, sie dafür zu kritisieren: Rudy – mein Mann – und ich sind früher selbst oft nach Kenia auf Safari gefahren. Inzwischen finde ich dergleichen ziemlich albern. Von Gefahr und Abenteuer kann keine Rede sein. Du lieber Himmel, man zieht sich bei diesen Spritztouren in die Savanne ja sogar zum Dinner um. Und ich bin heute auch der Meinung, daß die Jagd zu unserem Vergnügen unmenschlich ist. Ich brauche nur an unsere Fuchsjagden zu denken … brrr …» Sie schüttelte sich.
    «Sie sympathisieren also mit den Jagdgegnern?»
    «So ist es.»
    «Und was halten Sie davon, daß kürzlich einige Jagdhunde fast erschossen worden wären, weil sie zwei Hirsche getötet hatten? Das Ganze jedoch nur, da sogenannte Jagdsaboteure mit Hupen und Trillerpfeifen die Hunde wild gemacht hatten. Würden Sie diese Art von Tierschutz gutheißen?»
    Sie schien irritiert. «Sie billigen also diesen blutigen Sport, Mr. Plant?»
    Melrose hatte keine große Lust, über die Jagd zu reden, zumal er Tante Agatha auf sie zupirschen sah.
    «Ich habe selbst einmal eine Antilope geschossen. Scheußliches Gefühl.» War es purer Zufall, daß er, sobald Agatha auftauchte, ans Schießen dachte? Ob Tante oder Antilope, das machte doch keinen großen Unterschied. «Ihr Neffe macht im übrigen keineswegs einen leichtfertigen Eindruck auf mich.» Tommy Whittaker stand andächtig vor dem Feuer. «Im Gegenteil, er scheint mir viel zu ernst für sein

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