Inspector Jury bricht das Eis
Abtei würden sie etwas behutsamer vorgehen und sich mehr an die Regeln der Kunst halten müssen.
«Tut mir leid, aber wir müssen Ihre Zeit noch ein wenig in Anspruch nehmen», sagte er schadenfroh. Er konnte nichts dagegen tun; sie sahen einfach so verdammt … privilegiert aus. «Die Polizei von Durham sucht inzwischen die Umgebung ab. Wer hat die Tote gefunden?»
«Ich, oder besser gesagt wir.»
Der Rennstallbesitzer. Und der Junge. Mit dem Jungen würden sie keine Probleme haben, aber dem anderen war möglicherweise nicht so leicht beizukommen. «Darf ich um Ihren Namen bitten, Sir?» fragte Cullen übertrieben höflich.
«Melrose Plant.»
«Earl of Caverness», raunzte die Alte mit der Schlafhaube.
Ein Earl. Er hatte mit dem Rennstall wohl richtig getippt.
«Melrose Plant», berichtigte der Earl.
Cullen steckte sich einen Streifen Kaugummi in den Mund und sagte mit falscher Liebenswürdigkeit: «Was denn nun? Könnten Sie sich bitte einmal einigen?»
«Sie dürfen mir ruhig glauben, daß ich meinen eigenen Namen kenne», sagte der Rennstallbesitzer.
Cullen zuckte die Achseln. Wenn die ihre Titel nach Belieben trugen oder ablegten wie ein altes Hemd, so war das nicht sein Problem. «Sie und der Junge da haben sie also gefunden?»
«Jawohl», sagte Tommy Whittaker und buchstabierte ungefragt seinen Namen. Trimm zückte seinen Notizblock.
Das wiederum alarmierte die andere Alte – die um einiges vornehmer wirkte als die erste. «Er ist der Marquis von Meares !»
Mein Gott, dachte Cullen. Noch feucht hinter den Ohren, aber schon Marquis.
«Auf Skiern ? » Cullen schob die Notizen beiseite, die der Mann von der Spurensicherung auf den Tisch in Seainghams Arbeitszimmer gelegt hatte, und starrte Melrose ungläubig an. «Wollen Sie mir erzählen, Mr. Plant, daß Sie und der junge Whittaker auf Skiern unterwegs waren?»
Plant hielt ihnen sein Zigarrenetui hin, bekam von beiden einen Korb und zündete sich dann selbst eine an. «Ganz recht. Wir kamen zurück aus dieser Kneipe; ‹Jerusalem Inn› heißt sie …»
«Kenn ich. Am Ortsrand von Spinneyton. Aber könnten Sie mir bitte erst mal erklären, warum Sie sich überhaupt veranlaßt fühlten, diese Spelunke aufzusuchen?»
«Im ‹Jerusalem Inn› fand ein Snooker-Match statt, das wir uns ansehen wollten. Auf dem Rückweg sind wir dann über die Leiche gestolpert.» Cullen fixierte ihn mit zusammengekniffenen Augen. «Als wir die Abtei verließen, lag sie noch nicht da, Sergeant.»
«Woher wissen Sie das?»
«Wir haben zurück die gleiche Route genommen wie auf dem Hinweg. Tommy kannte sich ja aus …» Melrose verstummte. Es hatte keinen Sinn, ihnen mehr zu erzählen als unbedingt nötig.
Aber die beiden Polizisten waren nicht auf den Kopf gefallen. Trimm sah auf und wandte Melrose sein rosiges Puttengesicht zu. «Er kannte sich aus? Was soll das heißen?»
«Ach nichts. Er hatte sich nur die Route gut eingeprägt, um sicherzugehen, daß wir uns auf dem Rückweg nicht verirren würden.»
«Um welche Zeit sind Sie aufgebrochen?»
«Gegen neun. Nach dem Dinner.»
«Und wann haben Sie sich wieder auf den Heimweg gemacht?»
«Als der Pub schloß. Um elf war Feierabend, und wir sind dann noch etwa zehn Minuten geblieben. Für den Rückweg haben wir ungefähr zwanzig Minuten gebraucht, es war also –»
«Elf Uhr dreißig», soufflierte Trimm zuvorkommend.
«Sie sagen es.»
«Was geschah dann?» fragte Cullen.
«Der Junge ist mit seinen Skiern über die Leiche gestolpert und gestürzt. Ich bin ihm zu Hilfe gekommen.»
Cullen schüttelte beinahe traurig den Kopf, als hätte er Melrose eine bessere Lügengeschichte zugetraut. «Fangen wir noch mal von vorne an. Sie sagen, Sie und der junge Whittaker bekamen ganz plötzlich Lust, sich Skier anzuschnallen» (erneutes Kopfschütteln) «und querfeldein zum ‹Jerusalem› zu laufen. Aber warum kam Ihnen dieser spontane Einfall ausgerechnet heute nacht?»
«Ich fand die Idee nicht schlecht. Es war mal eine Abwechslung.»
«Eine Abwechslung, soso.» Cullen blickte von seinen Papieren auf. «Sie und der Junge stecken mittendrin, ist Ihnen das klar? Sie waren zur fraglichen Zeit als einzige in der Nähe des Tatorts. Keiner der anderen war jedenfalls auf Skiern unterwegs.» Er lächelte mit schneidendem Charme.
«Dann wissen Sie mehr als ich, Sergeant. Wollen Sie nicht erst einmal abwarten, bis der Arzt den Zeitpunkt des Todes bestimmt hat? Und haben Sie sich schon einmal gefragt, was Beatrice
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