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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Sleight dort draußen eigentlich wollte, noch dazu um diese Zeit?»
    «Ich stelle hier die Fragen, wenn Sie erlauben.»
    Das gleiche hätte auch der Inspektor in Die dritte Taube gesagt. Melrose seufzte.
    «Sie wurde mit einer Schrotflinte, Kaliber.041, in den Rücken geschossen. Und nun raten Sie mal, wo wir die Waffe gefunden haben. Na?»
    Die Frage war zweifellos rhetorisch. «In der Waffenkammer.»
    «An der Sie zweimal vorbeikamen: als Sie die Abtei verließen und dann wieder bei Ihrer Rückkehr.»
    «Sie glauben doch nicht etwa, daß wir eine Schrotflinte ins ‹Jerusalem› mitgeschleppt haben?»
    «Warum sollte ich diese Möglichkeit ausschließen?» Cullen stopfte sich grinsend einen neuen Kaugummi in den Mund. Dann studierte er wieder die Notizen auf dem Schreibtisch. «Sie sind der Earl of Caverness?»
    «Nicht mehr. Mein Familienname lautet Plant.»
    «Warum führen Sie Ihren Titel nicht mehr?»
    «Weil ich nicht will.»
    Das schien diesen Verächtern der Aristokratie gar nicht zu schmecken: Ein Aristokrat hatte gefälligst dem Kodex seiner Kaste zu gehorchen. Aber vielleicht dachten sie auch, sie seien mit ihrer Frage auf irgendein dunkles Geheimnis in Plants Vergangenheit gestoßen, das mit den gegenwärtigen Vorgängen eng zusammenhing. «Tut mir leid, daß Sie damit nicht einverstanden sind.»
    «Aus politischen Gründen wohl? Wollen Sie sich etwa ins Unterhaus wählen lassen oder so was?»
    «Nein. Im übrigen verstehe ich nicht ganz, warum Sie sich so brennend für meinen Titel interessieren, während dort draußen eine Tote liegt, Sergeant.»
    «Können Sie gut mit Schußwaffen umgehen, Mr. Plant? Als Earl haben Sie doch sicherlich einen Landsitz und gehen viel auf die Jagd?»
    «Nein.»
    Es war ihnen deutlich anzusehen, daß sie ihm nicht glaubten. Wieviel würden sie wohl auf die Worte des Marquis von Meares geben, wenn sie erfuhren, daß er ein geübter Schütze war?
     
    Tommy kam jedoch bester Laune von seiner Vernehmung zurück. «Ich glaube, ich war ihnen sympathisch, besonders dem Pausbäckigen.»
    «Wie bitte? Sympathisch? Mein lieber Junge, es geht hier nicht um Sympathie oder Antipathie. Die sind bestimmt nicht gekommen, um herauszufinden, wer von uns der Netteste ist. Wie kommst du überhaupt darauf?» Melrose fühlte ein Ziehen in seinen Beinen. Er war sicher, daß er am nächsten Morgen mit Muskelkater erwachen würde – falls man ihn überhaupt noch einmal ins Bett gehen ließ.
    «Ich hab ihnen erklärt, daß ich in meinem Oboenkasten kein Gewehr versteckt hatte, sondern nur ein Queue. Constable Trimm war ganz hingerissen. Sie sind beide Snooker-Fans. Ich hab allerdings das Gefühl, daß sie nicht so sehr auf Leute wie Hurricane Higgins stehn, sondern mehr auf die reinen Techniker. Ray Reardon zum Beispiel. Natürlich hab ich sie gebeten, die Sache mit dem ‹Jerusalem› für sich zu behalten.»
    «Natürlich», sagte Melrose.
    «Hoffentlich halten Sie mich nicht für gefühllos, weil ich hier über Snooker rede, während die arme alte Beatrice Sleight …»
    «Hauptsache, Cullen und Trimm finden nichts dabei», sagte Melrose. «Meinetwegen brauchst du dir keine Gedanken zu machen.»
     
     
    Schon nach fünf Minuten mit Charles Seaingham war Jury froh, daß er weder Schriftsteller noch Maler war. Seaingham war ein Mann, der aus tiefster Überzeugung heraus handelte und es einem durch seine unbestechliche Art, den Dingen gnadenlos auf den Grund zu gehen, fast unmöglich machte, seinen Urteilen zu widersprechen. Er war offenbar der Auffassung, daß man ein Kunstwerk erst jeglichen schmückenden Beiwerks entkleiden müsse, um dann das nackte Gerüst in Augenschein zu nehmen. Falls dabei nichts übrigblieb als ein klappriges Konstrukt, so konnte der Künstler nicht mit Seainghams Mitleid rechnen.
    In diesem Fall jedoch verdiente er selbst Mitleid, und ohne Umschweife kam er darauf zu sprechen, daß er ein Verhältnis mit Beatrice Sleight gehabt hatte. «Es war eine Dummheit. Ich habe schon eine Menge Dummheiten begangen, aber noch nie wegen einer Frau. Das Ganze ist unentschuldbar. Ich kann nur hoffen, daß Grace es nie herausfindet. Sie wäre schrecklich verletzt. Tja, jetzt wissen Sie’s.» Er hob kraftlos die Arme, als wollte er den Himmel um Hilfe anflehen, und ließ sich dann in seinen Ledersessel fallen.
    Eine Dummheit, vielleicht. Aber Jury konnte durchaus nachvollziehen, warum Seaingham ausgerechnet auf Beatrice Sleight verfallen war. Er war ziemlich sicher, daß ihn weniger

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