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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Sache.» Das eilige Zugeständnis ließ vermuten, daß in Ruthvens Augen der Mord an Beatrice Sleight Mr. Marchbanks Frevel sozusagen nur die Krone aufsetzte.
    Melrose entfernte eine mikroskopisch kleine Fussel von dem ansonsten untadelig gebürsteten Jackett und zog es an. Wenn sein Butler bloß auf dieses «Mylord» verzichten würde. Er hatte es jedoch schon längst aufgegeben, ihn zu korrigieren: einmal Earl of Caverness, immer Earl of Caverness. Es mußte auch ein harter Brocken für Ruthven sein, daß der Earl in der Rangfolge erst nach dem Marquis kam. Und dazu noch nach diesem minderjährigen Lümmel von einem Marquis.
    Ruthven, der die bereits von Seainghams Hausdiener blankpolierten Stiefel noch einmal nachwienerte, seufzte und murmelte undeutlich so etwas wie «Die arme Mrs. Seaingham».
    Überrascht wandte Melrose sich nach ihm um; seine Bemühungen, ein widerborstig abstehendes Haarbüschel glattzustreichen, gab er resigniert auf. «Was ist denn mit Mrs. Seaingham?»
    «Diese Stiefel waren nicht ordentlich poliert, Mylord.»
    Melrose fand, daß sie wie Messing glänzten. Geduldig wiederholte er: «Was ist mit Mrs. Seaingham?»
    «Nun ja, sie sieht sehr angegriffen aus, Sir. Ihnen mag noch nicht aufgefallen sein, daß sie ihr Essen kaum anrührt. Ich habe gesehen, daß sie ihren Teller zurückgehen ließ, ohne auch nur einen Bissen zu sich genommen zu haben. Andererseits ist das so verwunderlich nicht, wenn man sich’s recht überlegt. Wir, die wir Mrs. Ruthvens Küche gewohnt sind –»
    « Marthas . Sie kocht für uns, seit ich denken kann. Sie brauchen also nicht so förmlich zu sein.»
    «Sehr wohl, Sir. Vielen Dank, Sir. Aber was ich sagen wollte – wenn man weiß, was haute cuisine bedeutet, dann braucht man sich über Mrs. Seainghams mangelnden Appetit nicht zu wundern. Alles was recht ist, Sir. Die Cumberland-Sauce kaschierte doch nur eine ziemlich verkochte Keule.» Ruthvens normalerweise unbewegliches Gesicht verzog sich zu einem fast hämisch zu nennenden Grinsen. «Und die Béarnaise …»
    «Mein lieber Ruthven. Ich glaube nicht, daß das, was auf Spinney Abbey geschehen ist, sich auf zwei, drei mehr oder weniger gelungene Soßen zurückführen läßt.»
    «Nein, Mylord. Da haben Sie recht», sagte er, ohne sich jedoch von seinem Gedanken abbringen zu lassen. «Es wird wohl eher was mit den Leuten zu tun haben.»
    «Das möchte ich auch glauben, Ruthven.» Melrose zündete sich die obligatorische Zigarre vor dem Lunch an und sah zu, wie Ruthven die Stiefel auf den Boden stellte und sie kopfschüttelnd begutachtete, als hätten sie schon weitaus bessere Tage gesehen.
    «Sie werden nie wieder so sein wie früher, Sir.»
    «Die Stiefel? Oder die Gäste? Ich nehme an, beide erregen Ihr Mißfallen?»
    «Das zu äußern stünde mir nicht zu, Mylord. Aber es läßt sich nicht leugnen, daß einige dieser Leute, nun ja, nicht eben gesellschaftsfähig sind. Ich meine, haben Sie gesehen, was Lady Assington mit dem Stilton gemacht hat?»
    «Sie hat ihn auf den Boden geworfen, stimmt’s?»
    Ruthven ließ sich nicht beirren: Sein junger Herr (in Ruthvens Augen würde Melrose immer jung bleiben) nahm wieder einmal Dinge von gravierender Bedeutung auf die leichte Schulter. «Sie hat einen Löffel benutzt, Sir. Wenn irgendwelche Neureichen …»
    «Sie werden die Seainghams doch nicht als ‹neureich› bezeichnen wollen, und wenn sie den Käse mit Löffeln servieren – Ruthven, warum, zum Teufel, sprechen wir über Käselöffel? Kommen wir zu wichtigeren Dingen: Was sagt das Personal über die Seainghams?»
    Ruthven war schlichtweg schockiert. «Also wirklich, Mylord, ich werde doch nicht den Klatsch der Dienstboten kolportieren.»
    In der Ferne läutete es. Es hörte sich wie eine Kuhglocke an. «Lunch, Ruthven. Kommen Sie, geben Sie –» Melrose schneuzte sich in sein Taschentuch.
    «Ich hoffe, Sie haben sich bei Ihrem Ausflug gestern abend nicht erkältet. Sie sind nicht in der richtigen Verfassung für diese Art von Wintersport, Mylord.» Ruthven war wirklich ein Meister der Untertreibung.
    « Für jede Art von Sport. Ich gehöre zu besagter Sorte reicher Müßiggänger.»
    «Das stimmt keineswegs. Sie haben doch Ihre Pflichten als Professor an der Universität.»
    «Irgend etwas muß Ihnen doch zu Ohren gekommen sein. Sie bewegten sich doch nicht die ganze Zeit zwischen Messern, Gabeln und Branston Pickles, ohne etwas mitzubekommen.»
    Während Ruthven ein letztes Mal mit seiner Bürste über

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