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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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ja nicht für ihre Taten verantwortlich zu machen.»
    Jury stieg ins Auto. «Ich fahre jetzt nach Durham und bringe Sie vorher schnell in Spinney Abbey vorbei. Grace für mich, Susan für Sie.» Er ließ den Motor an.
    «Danke bestens. Zyankali war mir lieber.» Der Motor lief, doch Jury machte keinerlei Anstalten, loszufahren, sondern starrte an Melrose vorbei ins Leere.
    «Was ist? Haben Sie was entdeckt?» Plant wandte sich um. Chrissie drückte ihr Gesicht gegen die Scheibe eines der winzigen Fenster des Lokals.
    «Ein Paar brauner Augen», sagte Jury und winkte ihr zu, bevor er losfuhr.
    Melrose sah das Augenpaar schnell unter der Fensterbank verschwinden. Das Schmelzwasser tropfte von den Scheiben.

21
    An einem nebligen Tag wie diesem schien die Kathedrale von Durham aus der Ferne betrachtet über der in einer engen Schleife des Wear gelegenen Halbinsel zu schweben.
    Der Gottesdienst war schon seit fünf Minuten zu Ende, doch Grace Seaingham kniete noch immer auf einer der Bänke. Wie lange kann eine Frau es in einer solchen Stellung aushalten? fragte sich Jury. Im Stehen ging’s ja noch einigermaßen, aber auf den Knien mußte einem jede Minute wie eine kleine Ewigkeit vorkommen.
    Jury betrachtete das geometrische Muster der Steinquader, aus denen die Säulen bestanden, behielt Grace Seaingham aber immer im Auge. Ein Weilchen später erhob sie sich endlich, ging durch das leere Gestühl und trat auf den Mittelgang. Sie hielt den Blick gesenkt und bemerkte Jury erst, als sie vor ihm stand. Bei seinem Anblick schlug sie den Kragen ihres weißen Wollmantels hoch, als hätte sie ein kalter Windstoß getroffen. Sie sah ihn mißtrauisch an.
    «Entschuldigen Sie, Mrs. Seaingham. Ich bin nicht hier, weil ich Sie beschatte.» Sein Lächeln kam ihm gezwungen vor, wie immer, wenn er in ihrer Nähe war. «Aber Sie hatten gesagt, Sie würden heute vormittag hiersein; da ist etwas, das ich Ihnen erzählen möchte … Aber wollen wir nicht lieber woanders hingehen?» Ihr Lächeln gab ihm das unbestimmte Gefühl, er werde um etwas betrogen.
    «Ich habe nichts gegen diesen Ort einzuwenden. Wenn wir schon über den Tod sprechen müssen» – sie sah ihn achselzuckend an –, «dann am besten hier. Wir können uns ja ein bißchen die Beine vertreten und dabei die Kirche ansehen.» Mit einer typischen, eleganten Armbewegung bedeutete sie ihm, ihr zu folgen.
    Jury fühlte sich in der Kathedrale irgendwie im Nachteil. Ihm war jedoch nicht ganz klar, warum er Grace Seaingham unbedingt etwas voraushaben wollte. Er wandte sich ihr zu und betrachtete das scharfgeschnittene Profil, das helle Haar. Sie war vor dem Fresko des heiligen Cuthbert stehengeblieben. «Freddie Parmenger sollte sich das mal anschauen. Er mag nur leider keine Kirchen. Wußten Sie, daß die Mönche im Laufe der Jahrhunderte die Gebeine des heiligen Cuthbert immer wieder verlegt haben? Zuerst Lindisfarne, dann Chester-le-Street. Das ist nicht weit von hier. Hier ist seine endgültige Ruhestätte.» Immer noch dem Fresko zugewandt, fragte sie ihn: «Was wollten Sie mir denn erzählen?»
    «Sie waren nicht gemeint, Mrs. Seaingham. Ich habe mich geirrt. Der Mörder hatte es doch auf Beatrice Sleight abgesehen.»
    Ihm war nicht wohl in seiner Haut. Die Nähe dieser Frau, die Fremdheit dieses Orts mit seinen kolossalen Dimensionen – all das verunsicherte ihn. Er fühlte sich klein und schutzlos. Wie lächerlich!
    Nichts, was sie sagte oder tat, rechtfertigte jedoch seine Gefühle. Die abrupte Bewegung, mit der sie sich ihm zuwandte, drückte nur Überraschung und Erleichterung aus. «Aber warum um Himmels willen sollte Bea mein Cape genommen haben?»
    «Wer immer sie erschossen hat, wollte den Eindruck erwecken, daß Sie …» Er beendete den Satz nicht. «Wie der Killer sie dazu brachte, sich das Cape umzulegen und nach draußen zu gehen, weiß ich allerdings auch nicht. Irgendein plausibler Vorwand, zum Beispiel ein kleines Gespräch unter vier Augen an einem Ort, wo man nicht gesehen würde. In der Kapelle vielleicht …»
    Ihre Augen schimmerten feucht; Jury konnte jedoch nicht sagen, ob sie den Tränen nahe oder einfach nur erleichtert war.
    «Es war also nicht …» Sie unterbrach sich abrupt und wandte sich wieder dem Bild des heiligen Cuthbert zu.
    «Nicht was? Oder wer?»
    Sie schwieg.
    «Sie meinen, Ihr Mann? Ich halte Ihren Mann auf keinen Fall für verdächtig.»
    «Sie glauben nicht, daß er sie erschossen hat?»
    Jury zögerte mit der Antwort. «Sie war

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