Inspector Jury bricht das Eis
glatten, dunklen Helm ihres Haars und sagte: «Und Sie sollten keine Brille tragen. Sie haben so hinreißende Augen. Grün», fügte sie hilfsbereit hinzu, falls ihm die Farbe entfallen sein sollte.
Melrose dankte ihr und steckte seine Brille wieder ein. Die Haarkreation schien vergessen zu sein. Sie beugte sich auf dem Sessel vor und ließ Melrose neben dem glänzenden Haar noch andere ansehnliche Dinge bewundern, während sie ihm tief in die Augen sah. «Seltsam, daß Sie immer noch Junggeselle sind.» Der Mord war plötzlich unwichtig geworden.
«So seltsam nun auch wieder nicht. Ich habe einfach noch nicht die Kurve gekriegt.» Im Hintergrund versuchte Tommy sich beharrlich an einer Tonleiter und scheiterte immer wieder an der gleichen Stelle. Um das Gespräch wieder auf den Mord zu bringen, bemerkte er: «Sie dürften sich eigentlich nicht beklagen.» Sie warf ihm einen verständnislosen Blick zu. «Nun, Sie sagten doch neulich beim Essen, unsere kleine Gesellschaft biete sich geradezu an für einen Mord.»
«Schon, aber das war doch nicht ernst gemeint», sagte sie betroffen.
«Aber natürlich», beschwichtigte Melrose sie. «Wie haben Sie denn Beatrice Sleight eigentlich kennengelernt?»
«Sie fragen, als wären Sie bei der Polizei», sagte sie, und Melrose staunte, daß sie der Wahrheit so nahe gekommen war. Doch sie stand ihm Rede und Antwort. «Bei einer Autogrammstunde in einer Buchhandlung. George dachte, es würde vielleicht Spaß machen, hinzugehen und sie eines ihrer Bücher signieren zu lassen. Er kannte sie nur ganz flüchtig.»
«Flüchtig» – das hatte Sir George auch der Polizei von Northumbria gesagt. Lady Assington schien diesen dehnbaren Begriff nicht in Zweifel zu ziehen. «Aber eigentlich hatte man es doch auf Grace Seaingham abgesehen, oder?» fragte sie und warf Melrose einen überraschend scharfen Blick zu. «Bei solchen Geschichten denkt man bekanntlich sofort an … den Ehemann.»
«Ich hatte bei den Seainghams eigentlich den Eindruck, sie würden ganz gut zueinander passen; ein glückliches Paar.»
«Da kann man sich leicht täuschen», meinte Susan. «Aber was ich nicht verstehe: Warum tut die Polizei so, als hätte einer von uns das getan? Wo es doch genausogut ein Einbrecher oder vielleicht ein Landstreicher gewesen sein kann. Beatrice wird ihn gesehen haben, und dann …» Sie hatte jedes Kleid und jede Frisur in ihrer Zeitschrift genau studiert. Nun stand sie auf, warf sie auf den Tisch und schickte sich an zu gehen.
Um erwiesene Sachverhalte schien sie sich mit ihrer These nicht zu scheren. Melrose beschloß, sie freundlich darauf hinzuweisen: «Wissen Sie, das kommt mir bei dem Schnee eher unwahrscheinlich vor. Wir waren doch bis heute morgen so gut wie eingeschneit.»
Sie drehte sich im Hinausgehen zu ihm um. «Ach ja?» sagte sie. «Aber es waren doch auch gewisse andere Leute auf Skiern unterwegs.»
«Komm, spiel den Strohmann, Melrose», sagte Lady Ardry und klatschte eine Karte auf den Tisch, als Melrose das Spielzimmer betrat. Agatha, Lady St. Leger und Vivian spielten, Bridge zu dritt. «Du brauchst überhaupt nichts zu tun. Das Kartenspiel gehörte ja noch nie zu deinen Stärken.»
Er sah den Debrett’s herumliegen und dachte, sie hätten besser König, Dame, Bube spielen sollen. «Deine Einladung, mich zu euch zu gesellen, ist einfach unwiderstehlich, Agatha, aber trotzdem vielen Dank. Wenn ihr zu dritt spielt, habt ihr sowieso keine Verwendung für einen Strohmann.»
«Ich schon», sagte Vivian mit diesem süffisanten Lächeln, das man in letzter Zeit öfter von ihr sah. Sie plante wohl einen Stich.
«Die Damen scheinen die Ereignisse des gestrigen Abends ja mit großer Fassung zu tragen. Ich möchte Ihnen meine Bewunderung ausdrücken.»
Lady St. Leger lief unter der Rouge- und Puderschicht rot an, als wäre sie bei verbotenen Spielen ertappt worden. «Wir versuchen lediglich, uns etwas abzulenken von dieser – dieser unerfreulichen Geschichte.»
Zu diesem Zweck hatte sie auch wohl gerade die Vorzüge der Marqueterien von Miln und Abbisford gegenüber dem Titel eines Earl of Dunleith gerühmt, als Melrose eingetreten war. Seine Tante biß nun bereitwillig auf diesen Köder an.
«Es ist nicht zum Aushalten dort», sagte Agatha, die in der Nähe des Serviertischchens saß. «Die Affen klettern auf den Autos herum … Wenn du nicht mitspielst, Melrose, warum bist du dann immer noch hier, während wir uns zu konzentrieren versuchen?»
Affen?
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