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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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versucht allerdings genausowenig wie Cary Grant damals, Sie zu vergiften.»
    «Wieso sind Sie sich da so sicher?»
    «Ganz einfach. Er liebt sie.»
    Sie warf ihm einen schon beinahe koketten Blick zu. «Und woher wollen Sie das nun wieder wissen?»
    «Erstens, weil er es selbst gesagt hat. Zweitens, weil er Beatrice Sleight nicht geliebt hat. Drittens, weil er Sie auf eine ganz bestimmte Art anschaut! Und viertens – ein sehr stichhaltiger Hinweis: Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mann wie Ihr Gatte Sie in seinem Arbeitszimmer, seinem ureigensten Territorium, einem Maler Modell sitzen ließe, wenn Sie ihm nicht sehr viel bedeuteten.»
    Sie sah ihn bewundernd an. «Sie haben mir eine Last von der Seele genommen. Sie sind entweder ein phantastischer Detektiv oder ein schrecklicher Romantiker.»
    Er lächelte. «Oh, beides.» Er nahm wieder ihren Arm. «Kommen Sie, gehen wir etwas essen.»
     
    Das winzige Restaurant mitten in der Altstadt Durhams war brechend voll. Sie bestellten ein wundervolles Menü: mit Käse überbackene Pilze in Weißweinsoße und Kalbsragout; danach Stilton-Käse und Stachelbeerkuchen. Jury paßte auf, daß Grace auch alles aufaß, was keine großen Überredungskünste seinerseits erforderte. Beim Essen erzählte sie von sich und Charles: daß sie gehofft habe, die Sache mit Bea sei eine dieser Affären, die Männer in seinem Alter brauchten; daß sie sich immer Kinder gewünscht habe, aber dieser Wunsch sei nicht in Erfüllung gegangen. «Und dann gibt es Frauen wie Tommys Mutter, für die Kinder einfach nur lästig sind.» Sie steckte ein Stück Kuchen in den Mund und schwieg einen Augenblick. «Ich habe Tommy oft beobachtet, wenn er mit seiner Mutter zusammen war. Er liebte sie abgöttisch; sie war schön, doch es fehlte ihr an Charakter. Offen gesagt hatten beide nicht viel davon, weder Irene noch Richard waren charakterfest. Sie waren amüsant, charmant und reich, das ja …» Achselzuckend wechselte sie das Thema. «Hier in der Nähe ist übrigens ein alter Trödelladen, in dem ich oft herumstöbere. Dies hier habe ich auch dort gefunden …» Sie hob den Anhänger an ihrer Kette hoch, die sie stets zu tragen schien. «Später fand ich dann heraus, wie wertvoll er wirklich ist. Der arme alte Kerl in dem Laden hatte keine Ahnung; er wollte ein Pfund dafür haben, dabei ist er ungefähr tausend wert.» Sie ließ den Anhänger wieder fallen. «Wie wär’s, wenn wir da mal kurz reinschauen?»
    «Einverstanden.» Jury bezahlte, und sie spazierten hinaus auf die Straße.
    «Es beruhigt mich, daß Sie nicht ganz so vollkommen sind, wie Sie scheinen, Grace.»
    «Was meinen Sie?»
    «Der Trödler. Seine Unwissenheit hat ihn tausend Pfund gekostet.» Jury lachte.
    Sie blieb abrupt stehen. «Also hören Sie, Mr. Jury. Ich bin natürlich zurückgegangen und hab ihm das Geld gegeben.»
    «Teufel auch. Und ich dachte schon, Sie wären doch kein ganz hoffnungsloser Fall.»
    Sie lächelte verschmitzt. «Das heißt – ich habe das Geld mit ihm geteilt. Also vielleicht besteht noch Hoffnung für mich?»
    Wer weiß, ob noch Hoffnung besteht, dachte Jury. Denn wenn ihr Mann sie nicht vergiftet, wer tut es dann? Aber vielleicht bildet sie sich das auch alles bloß ein …

22
    «Woran denken Sie, Ruthven?» fragte Melrose. Sein Butler, der gerade dabei war, Melroses Jackett auszubürsten, schien die Rätsel der Schöpfung vor seinem inneren Auge Revue passieren zu lassen.
    «Haben Sie bemerkt, Sir, wie Mr. Marchbanks gestern abend den Bordeaux dekantiert hat?»
    Jeder andere hätte sich zu den traurigen Ereignissen der letzten Nacht etwas Passenderes einfallen lassen. Doch Melrose kannte ja Ruthvens starrsinnige Haltung in Fragen der Etikette zur Genüge und hätte von seiner Bemerkung eigentlich nicht allzu überrascht sein dürfen. «Hat er ihn nicht atmen lassen, oder was?» Melrose betrachtete sich prüfend in einem Drehspiegel, nicht aus Eitelkeit, sondern weil er nach ersten Anzeichen von Verfall und frühem Tod suchte. In letzter Zeit fragte er sich auffallend häufig, ob er nicht eine widerstrebende Schönheit dazu bringen könnte, Ardry End mit ihm zu teilen, bevor es zu spät war. Er dachte seufzend an Polly Praed und ihren idiotischen Brief (Euer Gnaden?) . «Ehrlich gesagt beschäftigt mich eher das Ungemach, das Miss Sleight widerfahren ist, und nicht Mr. Marchbanks Ungeschicklichkeit.»
    «Schrecklich, wirklich schrecklich, Mylord. Ich hab kaum ein Auge zugetan heute nacht wegen dieser

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