Inspector Rebus 08 - Das Souvenir des Mörders
Und das wusste niemand. Niemand.
Es war Mitternacht, als er zum Hotel zurückkehrte. Die Rezeption war nicht besetzt. Er ging hinauf in sein Zimmer, stellte den Wecker auf halb drei und döste ein paar Stunden. Dann stieg er die läuferbelegte Treppe hinunter zur Rezeption, die noch immer verlassen dalag. Er brauchte dreißig Sekunden, um ins Büro einzubrechen. Dann schloss er die Tür hinter sich und setzte sich im Dunkeln an den Computer. Er war eingeschaltet. Er bewegte die Maus, um den Bildschirmschoner zu deaktivieren, und machte sich an die Arbeit. Er ging die sechs Wochen vor dem Tag von Judith Cairns Ermordung durch, überprüfte Zimmerreservierungen und Zahlungsmodi. Er suchte nach Kreditkonten von Firmen mit Sitz in oder in der Nähe von Aberdeen. Sein Gefühl sagte ihm, dass der Parvenü nicht in diesem Hotel abgestiegen war, um ein Opfer zu suchen, sondern sich geschäftlich hier aufhielt und der Frau zufällig begegnete. Er suchte nach dem unsichtbaren Muster, wartete darauf, dass er zum Vorschein käme.
Eine Viertelstunde später besaß er eine Liste von zwanzig Firmen und den jeweiligen Personen, die mit einer Firmenkreditkarte bezahlt hatten. Vorerst war das alles, was er brauchte - blieb allerdings ein Dilemma: die Dateien aus dem Rechner löschen oder sie stehen lassen? Wenn er die Informationen löschte, war seine Chance groß, die Polizei bei der Jagd auf den Parvenü zu schlagen. Trotzdem, irgendjemand vom Hotel würde es merken und neugierig werden, möglicherweise die Polizei benachrichtigen. Wahrscheinlich gab es von den Dateien auch Sicherungskopien auf Diskette. Auf diese Weise würde er der Polizei sogar eher helfen, sie auf seine Anwesenheit aufmerksam machen... Nein, besser die Finger davon lassen. Nie mehr tun als unbedingt nötig. Mit der Maxime war er auch in der Vergangenheit immer gut gefahren.
Wieder in seinem Zimmer, studierte er die Liste. Es würde leicht sein herauszufinden, wo jede Firma ihren Sitz hatte, womit sie sich beschäftigte - Arbeit für später. Am nächsten Tag hatte er einen Termin in Edinburgh und würde die Gelegenheit dazu nutzen, etwas in Sachen John Rebus zu unternehmen. Er sah noch ein letztes Mal im Teletext nach, bevor er sich zur Ruhe begab. Nachdem er das Licht ausgeschaltet hatte, zog er die Vorhänge auf und legte sich ins Bett. Am Himmel standen Sterne, ein paar davon so hell, dass sie trotz der Straßenbeleuchtung sichtbar waren. Viele von ihnen längst erloschen, behaupteten jedenfalls die Astronomen. Tot. Bei so viel toten Dingen überall - was würde ein weiteres schon für einen Unterschied machen? Gar keinen. Nicht den geringsten.
22
Nach Howdenhall fuhren sie mit Jacks Auto; Rebus saß im Fond und titulierte Jack als seinen »Chauffeur«. Es war ein metallic-schwarzer Peugeot 405 Turbo, drei Jahre alt; Rebus pfiff auf den Nichtraucheraufkleber und steckte sich eine Zigarette an, ließ aber sein Fenster offen. Jack sagte nichts, sah nicht einmal in den Rückspiegel. Rebus hatte im Bett nicht gut geschlafen; Schweißausbrüche, ein Gefühl, wie in der Zwangsjacke zu stecken. Verfolgungsträume, die ihn einmal die Stunde aus dem Schlaf rissen und aus dem Bett jagten, so dass er nackt und zitternd mitten im Zimmer zu sich kam.
Jack seinerseits hatte als Allererstes über einen steifen Nacken geklagt. Sein zweiter Klagegrund: die Küche, die gähnende Leere im Kühlschrank und überhaupt. Er konnte nicht einkaufen gehen, nicht ohne Rebus, also waren sie sofort aufgebrochen.
»Ich bin am Verhungern«, jammerte er. »Dann halten Sie irgendwo an, und wir essen was.« Sie blieben bei einer Bäckerei in Liberton stehen: Würstchen im Schlafrock, zwei Becher Kaffee, ein paar Makronen. Die verspeisten sie im Auto, im absoluten Halteverbot an einer Bushaltestelle. Busse donnerten haarscharf an ihnen vorbei und legten ihnen nahe, schleunigst von diesem Ort zu verschwinden. Bei manchen stand auf der Rückseite: Bitte Vorfahrt gewähren.
»Die Busse stören mich nicht«, meinte Jack. »Es sind die Fahrer, gegen die ich was habe. Die Hälfte von denen scheint den Personenbeförderungslappen in der Tombola gewonnen zu haben.«
»Es sind nicht die Busse, die dieser Stadt die Atemluft rauben«, gab Rebus seinen Senf dazu.
»Sie sind ja heute Morgen richtig gut drauf.« »Jack, halten Sie einfach die Klappe und fahren Sie.« In Howdenhall standen sie schon bereit. Am Abend zuvor hatte die Spurensicherung alle seine Schuhe aus der Wohnung mitgenommen, so
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