Inspector Rebus 08 - Das Souvenir des Mörders
das angetan habe«, sagte er leise.
»Was?«
»Sie hierher gebracht.«
»Ich sollte die Willenskraft aufbringen, in ein Pub zu gehen, ohne was zu trinken.« Rebus nickte. »Danke«, sagte er.
Er lächelte in sich hinein. Mit Jack würde es klargehen. Der würde ihn nicht verpfeifen. Der Mann hatte schon so zu viel Selbstachtung verloren.
»Es gäbe ein Gästezimmer«, meinte Rebus, während er einstieg, »aber keine Laken und so. Wenn's Ihnen recht ist, richten wir das Sofa her.«
»Kein Problem«, erwiderte Jack.
Kein Problem für Jack, wohl aber für Rebus. Denn das bedeutete, dass er in seinem Bett würde schlafen müssen. Schluss mit den Nächten im Sessel am Fenster, halb angezogen unter der Steppdecke. Schluss mit den Stones um zwei Uhr nachts. Er wusste, dass er etwas unternehmen musste, die Situation - so oder so - so rasch wie möglich zu beenden.
Und gleich morgen damit anfangen.
Als sie vom Ox losfuhren, entschied sich Rebus zu einem Umweg und dirigierte Jack nach Leith, ließ ihn dort eine Weile herumfahren und deutete schließlich auf einen dunklen Ladeneingang.
»Das war ihr Stammplatz«, sagte er.
»Wessen Stammplatz?« Jack brachte den Wagen zum Stehen. Die Straße war wie ausgestorben, die Mädchen gingen anderweitig ihren Geschäften nach.
»Angie Riddells. Ich kannte sie, Jack. Ich meine, ich hatte sie ein paar Mal getroffen. Das erste Mal war's dienstlich, da habe ich sie aufgegriffen. Aber dann bin ich extra hier rausgefahren, um sie zu sehen.« Er warf Jack einen Blick zu, erwartete eine scherzhafte Bemerkung, aber Jacks Miene blieb ernst. Er hörte ihm zu. »Wir setzten uns zusammen und redeten. Und dann erfahre ich, dass sie tot ist. Wenn man jemanden kennt, ist es was anderes. Man erinnert sich an die Augen. Ich meine nicht an die Farbe oder sonst was, ich meine an all die Dinge, die einem die Augen über den Menschen verraten hatten.« Er schwieg kurz. »Wer immer sie getötet hat, kann ihr nicht in die Augen gesehen haben.«
»John, wir sind keine Seelsorger. Ich meine, das ist ein Job, oder? Man muss auch in der Lage sein, gelegentlich abzuschalten.«
»Halten Sie das so, Jack? Sobald die Schicht rum ist, ab nach Hause, und plötzlich ist alles okay? Egal, was Sie da draußen gesehen haben - eine feste Burg ist mein Zuhaus?«
Jack zuckte die Achseln, rieb mit den Händen über das Lenkrad. »Das ist nicht mein Leben, John.«
»Erfreulich für Sie, Kumpel.« Er richtete den Blick erneut auf den Eingang in der Hoffnung, dort irgendetwas von ihr zu sehen, die Spur eines Schattens, etwas, das sie zurückgelassen haben mochte. Aber er sah nur Dunkelheit.
»Fahren Sie mich heim«, sagte er zu Jack und drückte sich mit den Daumen die Augen zu.
Das Fairmont-Hotel lag im Glasgower Westend, in der Nähe der Ausfallstraßen. Von außen war es ein unauffälliger Betonklotz, innen eine typische Herberge fürs mittlere Management, das sein Hauptgeschäft unter der Woche machte. Bible John buchte nur für die Nacht auf den Montag.
Die Nachricht über das jüngste Opfer des Parvenüs war am Sonntagmorgen bekannt geworden - zu spät, als dass die seriöse Presse noch darüber hätte berichten können. So hatte er sich stattdessen in seinem Zimmer die stündlichen Radionachrichten von einem halben Dutzend Sendern angehört, an Fernsehnachrichten angesehen, was er hereinbekam, und zwischendurch Notizen gemacht. Der Teletext brachte nur ganz kurze Meldungen.
Mehr, als dass das Opfer, eine verheiratete Frau Ende zwanzig, in der Nähe des Hafens von Aberdeen aufgefunden worden war, wusste er bislang nicht.
Wieder Aberdeen. Es passte alles zusammen. Gleichzeitig durchbrach der Parvenü - falls er es war - damit sein Muster: sein erstes verheiratetes Opfer und vielleicht sein ältestes. Was darauf hindeuten konnte, dass er diesem Muster von vornherein nicht gefolgt war. Damit wurde nicht unbedingt die Existenz eines Musters an sich ausgeschlossen; es bedeutete lediglich, dass sich dieses Muster erst noch abzeichnen musste.
Und genau darauf baute Bible John.
Als Erstes öffnete er in seinem Laptop die PARVENÜ-Datei und las die Notizen über das dritte Opfer durch. Judith Cairns, im Freundeskreis Ju-Ju genannt. Einundzwanzig Jahre alt, hatte zur Miete in Hillhead gewohnt, direkt hinter dem Kelvingrove Park; Hillhead konnte er fast von seinem Fenster aus sehen. Judith Cairns war zwar arbeitslos gemeldet, hatte aber schwarz gejobbt: mittags als Bedienung in einer Bar, abends in einem
Weitere Kostenlose Bücher