Inspector Rebus 08 - Das Souvenir des Mörders
Fishand-Chips-Laden und an den Wochenenden vormittags als Zimmermädchen im Fairmont-Hotel. Wo der Parvenü, wie Bible John vermutete, sie auch kennen gelernt hatte. Wer von Berufs wagen viel unterwegs war, übernachtete in Hotels. Davon wusste er ja ein Lied zu singen. Er fragte sich, wie sehr er dem Parvenü ähneln mochte - nicht physisch, sondern geistig. Er wollte sich diesem dreisten Eindringling, diesem Usurpator, in nichts verwandt fühlen. Er wollte einmalig sein. Er lief unruhig im Zimmer auf und ab, konnte es nicht erwarten, wieder nach Aberdeen zu fahren, wo die jüngsten Ermittlungen gerade in Gang kamen. Aber er hatte hier in Glasgow noch etwas zu tun, etwas, das er erst in der Nacht würde erledigen können. Er starrte aus dem Fenster und stellte sich Judith Cairns vor, wie sie den Kelvingrove Park durchquerte: Sie musste das x-mal getan haben. Und einmal tat sie es mit dem Parvenü. Das eine Mal hatte genügt.
Im Lauf des Nachmittags und Abends gelangten weitere Einzelheiten über das jüngste Opfer an die Öffentlichkeit. Jetzt war von einer »erfolgreichen siebenundzwanzigjährigen Firmenchefin« die Rede. In Bible Johns Kopf gellte das Wort Geschäftsmann . Kein Fernfahrer oder etwas in der Richtung; ein einfacher Geschäftsmann. Der Parvenü. Er setzte sich an seinen Laptop und ging zu seinen Aufzeichnungen über das erste Opfer zurück, das Mädchen, das an der Robert Gordon's University Geologie studiert hatte. Er musste mehr über sie herausfinden, aber er wusste beim besten Willen nicht, wie er das anstellen sollte. Und jetzt war da noch ein viertes Opfer, das ihn beschäftigte. Vielleicht würde die Analyse von Nummer vier dazu führen, dass sich die Nummer eins für die Vollendung des Bildes als überflüssig erwies. Die heutige Nacht konnte ihm den Weg weisen.
Er machte einen Spaziergang. Die Nachtluft war angenehm mild, und es herrschte nicht viel Verkehr. Glasgow war gar keine so knallharte Stadt. Er hatte in den Staaten Orte kennen gelernt, denen sie in puncto Brutalität nicht das Wasser reichen konnte. Er erinnerte sich an die Stadt seiner Jugend, an Geschichten von Rasiermessergangs und organisierten Boxkämpfen mit bloßen Fäusten. Glasgow hatte eine gewalttätige Vergangenheit, aber das war nur eine Seite der Medaille. Es konnte auch eine sehr schöne Stadt sein, eine Stadt für Fotografen und Künstler. Ein Ort für Liebende...
Ich wollte sie nicht töten . Er hätte dies Glasgow gerne gesagt, aber natürlich wäre es eine Lüge gewesen. In dem Moment... im letzten Moment... hatte er nichts anderes als ihren Tod gewollt. Er hatte Interviews mit Mördern gelesen, hatte auch ein paar Mal Gerichtsverhandlungen beigewohnt in der Hoffnung, dass ihm jemand seine Empfindungen erklären könnte. Niemand hatte es auch nur entfernt geschafft. Es ließ sich weder erklären noch verstehen.
Viele hatten vor allem seine Wahl des dritten Opfers nicht verstanden. Er hätte ihnen sagen können, dass es vorherbestimmt war. Die Zeugin im Taxi hatte keine Rolle gespielt. Nichts hatte eine Rolle gespielt, alles war von einer höheren Macht vorbestimmt gewesen.
Oder einer niederen.
Oder lediglich von einem Zusammenwirken bestimmter chemischer Substanzen in seinem Gehirn, von einer genetischen Fehlschaltung.
Und danach hatte ihm sein Onkel den Job in den Staaten angeboten, so dass es ihm möglich gewesen war, Glasgow zu verlassen. Das ganze Leben hinter sich zu lassen und sich ein neues aufzubauen, eine neue Identität... als ob die Ehe und eine berufliche Laufbahn je das hätten ersetzen können, was er hinter sich gelassen hatte...
Er besorgte sich an einer Straßenecke die Morgenausgabe des Herald und kehrte in einer Bar ein, um sie dort zu lesen. Er setzte sich in eine Ecke und trank Orangensaft. Niemand schenkte ihm Beachtung. Es gab weitere Einzelheiten über das jüngste Opfer des Parvenüs. Sie hatte in der Unternehmenspräsentation gearbeitet, was bedeutete, Leistungspakete für die Industrie zusammenzustellen: Videos, Displays, Reden, Messestände... Er sah sich das Foto noch einmal aufmerksam an. Sie hatte in Aberdeen gearbeitet, und dort gab es eigentlich nur eine Industrie. Erdöl. Sie kam ihm nicht bekannt vor, er konnte beschwören, dass er ihr noch niemals begegnet war. Trotzdem fragte er sich, warum der Parvenü gerade sie ausgewählt hatte: Konnte es sein, dass er Bible John damit eine Botschaft übermitteln wollte? Unmöglich: Dazu hätte er wissen müssen, wer Bible John war.
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