Inspector Rebus 08 - Das Souvenir des Mörders
dann den Deckel des Koffers.
Darin befanden sich lauter Schätze: Handtaschen, Schuhe, Kopftücher, Schmuckstücke, Uhren und Portemonnaies -und daran nichts, was es ermöglicht hätte, die ursprünglichen Eigentümerinnen zu identifizieren. Die Handtaschen und Geldbörsen waren ausgeleert, gründlich nach verräterischen Initialen oder selbst charakteristischen Verschmutzungen oder Schäden untersucht worden. Jeder Brief und alles, was einen Namen oder eine Adresse trug, war verbrannt worden. Er setzte sich auf den Boden vor dem offenen Koffer, ohne etwas anzurühren. Er brauchte nichts anzurühren. Er erinnerte sich gerade an ein fast gleichaltriges Mädchen, das in seiner Straße gewohnt hatte, als er acht oder neun gewesen war. Sie hatten ein Spiel gespielt. Abwechselnd musste einer von ihnen ganz reglos, mit geschlossenen Augen, auf dem Boden ausgestreckt liegen, während der andere versuchte, ihm so viel wie möglich auszuziehen, ohne dass er etwas merkte.
Bible John hatte immer sehr rasch die Hände des Mädchens an seinem Körper gespürt - und sich an die Spielregeln gehalten. Aber wenn das Mädchen dalag und er begonnen hatte, sich an Knöpfen und Reißverschlüssen zu schaffen zu machen... hatten ihre Lider geflattert und ihre Lippen sich zu einem Lächeln verzogen. Doch sie war liegen geblieben, ohne einen Mucks zu sagen, obwohl er wusste, dass sie seine ungeschickten Finger fühlen musste.
Sie hatte natürlich geschummelt.
Jetzt fiel ihm seine Großmutter mit ihren ständigen Warnungen ein: Hüte dich vor Frauen, die zu viel Parfüm tragen; spiel nicht mit Fremden im Zug Karten...
Die Polizei hatte nichts davon verlauten lassen, dass der Parvenü Souvenirs mitnahm. Sie wollte es bestimmt aus nur ihr bekannten Gründen geheim halten. Aber es war klar , dass der Parvenü Souvenirs mitnahm. Drei bislang. Und er bewahrte sie in Aberdeen auf. Es war nur ein kleiner Patzer gewesen, auf seiner Benutzerkarte als Adresse Aberdeen anzugeben ... Bible John stand plötzlich auf. Jetzt erkannte er es, erkannte die Interaktion zwischen dem Bibliothekar und »Peter Manuel«. Der Parvenü erklärt, er müsse die Präsenzbibliothek benutzen. Der Bibliothekar fragt nach seinen Personalien, nach irgendeiner Art von Ausweis... Der Parvenü ist verwirrt, erklärt, er habe nichts dabei, habe alle seine Papiere zu Haus gelassen. Könnte er sie nicht rasch holen und dann wiederkommen? Unmöglich, er sei heute Morgen aus Aberdeen angereist und nur heute in der Stadt. Eine lange Fahrt. Also hatte sich der Bibliothekar erweichen lassen und die Karte ausgestellt. Doch jetzt war der Parvenü gezwungen, als seinen Wohnort Aberdeen anzugeben.
Er war in Aberdeen.
Ermutigt schloss Bible John den Schrankkoffer ab, stellte die Kartons genauso zurück, wie sie vorher gestanden hatten, und ging wieder nach unten. Es betrübte ihn, dass er sich wegen John Rebus gezwungen sehen könnte, den Koffer woanders unterzubringen... und sich selbst gleich mit. Er nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz.
Lass den Parvenü seinen Wohnsitz in Aberdeen haben, aber mobil sein. Lass ihn aus seinen ersten Fehlern lernen. Also plant er jetzt jeden Mord von langer Hand. Werden die Opfer zufällig ausgewählt, oder liegt da ein gewisses System zugrunde? Es war leichter, eine nicht vom Zufall bestimmte Beute auszuwählen; aber andererseits hatte es dann auch die Polizei leichter, ein Muster zu erkennen und einen früher oder später zu schnappen. Aber der Parvenü schien jung zu sein. Vielleicht war das ja gerade die eine Lektion, die er noch nicht gelernt hatte. Seine Wahl des Namens »Peter Manuel« verriet eine gewisse nassforsche Selbstsicherheit, den Wunsch, jeden zu verspotten, der imstande wäre, seiner Spur so weit zu folgen. Entweder er kannte seine Opfer, oder er kannte sie nicht. Zwei mögliche Marschrichtungen.
Erstens: Angenommen, er kannte sie, angenommen, es existierte ein Muster, das alle drei Opfer mit dem Parvenü in Verbindung brachte.
Erstes Profil: Der Parvenü war von Berufs wegen viel unterwegs - als Fernfahrer, Vertreter, etwas in der Art. Reiste viel in Schottland herum. Männer mit solchen Berufen waren nicht selten einsam; bisweilen griffen sie auf die Dienstleistungen von Prostituierten zurück. Das Edinburgher Opfer war eine solche Frau gewesen. Sie wohnten oft in Hotels. Das Glasgower Opfer hatte als Zimmermädchen gearbeitet. Das erste Opfer passte nicht in dieses Muster.
Oder vielleicht doch? Hatte die Polizei
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