Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
bedient zu werden - getan oder erlebt hatte. Er und die Blondine konnten sich unterwegs kennen gelernt haben. Es konnte irgendetwas passiert sein. Aber Rebus wusste es nicht. Gerade als das Bild hätte deutlicher werden sollen, war es entzweigerissen worden.
Als Janice und Brian vorfuhren und Einkaufstüten ins Haus zu schleppen begannen, entließ Rebus Pete und Joey. Noch etwas, was sie gesagt hatten: Dämon hätte nichts dagegen gehabt, ein Mädchen für die Nacht zu finden. Was sagte das über seine Beziehung zu Helen aus?
»Alles klar, John?«, fragte Janice lächelnd.
»Bestens«, erwiderte er.
Nach dem Lunch lud ihn Brian in den Pub ein. Das war ein Jour fixe - Samstagnachmittag, Fußballbericht im Radio oder Fernsehen. Ein paar Bierchen mit den Jungs. Aber Rebus lehnte dankend ab. Er hatte die Ausrede, dass Janice angeboten hatte, mit ihm einen Spaziergang durch den Ort zu machen. Rebus wollte nicht mit Brian am Tresen stehen - eine Situation, in der Männerfreundschaften entstehen oder gefestigt werden, Geheimnisse »ganz im Vertrauen« heraussickern konnten. Jetzt, wo er Janice in einem eigenen Zimmer hatte schlafen sehen, meinte Rebus, Dinge zu wissen, die er nicht hätte wissen dürfen.
Natürlich konnte es sein, dass sie wegen Dämon da schlief, weil sie ihn vermisste. Aber Rebus glaubte nicht, dass das der Grund war. Also ging Brian in den Pub, und Janice und Rebus gingen spazieren. Es regnete leicht. Sie trug einen roten Dufflecoat mit Kapuze und bot Rebus einen Schirm an. Er lehnte ab mit der Erklärung, seitdem er auf der Princes Street jemanden gesehen habe, dem mit so einem Ding beinahe ein Auge ausgestochen worden sei, betrachte er Schirme als gemeingefährliche Waffen.
»Wo wir langgehen, sind nicht ganz so viel Leute unterwegs«, sagte sie.
Und das stimmte. Die Straßen waren menschenleer. Die Einheimischen erledigten ihre Einkäufe in Kirkcaldy oder Edinburgh. Als Rebus ein Junge gewesen war, besaß seine Familie kein Auto. Die Läden auf der Hauptstraße hatten für sämtliche Bedürfnisse ausgereicht. Mittlerweile schien da nur noch Bedarf an Videos und Fastfood zu bestehen. Das Goth war tatsächlich zu, die Fenster mit Brettern vernagelt, was Rebus an Darren Roughs Wohnung erinnerte. Die Mietshäuser auf der Craigside Road hatte man abgerissen und durch neue Gebäude ersetzt. Einige davon gehörten der örtlichen Wohnungsbaugesellschaft, andere waren in Privatbesitz.
»In unserer Jugend wohnte niemand im eigenen Haus«, stellte Janice fest. Dann lachte sie. »Ich klinge bestimmt wie achtundsiebzig.«
»Die gute alte Zeit«, bestätigte Rebus. »Aber die Dinge ändern sich nun mal.«
»Ja.«
»Und Menschen dürfen sich auch ändern.«
Sie sah ihn an, aber ohne ihn zu fragen, was er meinte. Vielleicht wusste sie es schon.
Sie stiegen hinauf zu den Craigs, einem brachliegenden Hügelgrat oberhalb Auchterderran, und spazierten darauf entlang, bis sie die alte Schule sehen konnten.
»Nicht dass die noch als Schule genutzt würde«, erklärte Janice.
»Die Kinder gehen heutzutage nach Lochgelly. Erinnerst du dich an das Schulwappen?«
»Klar.« Auchterderran Secondary School: ASS, »Esel«. Die Kinder aus anderen Schulen hatten ihnen immer »iaah« hinterhergerufen, sich auch sonst über sie lustig gemacht.
»Warum siehst du dich eigentlich immer um?«, fragte sie. »Hast du Angst, dass uns jemand folgt?«
»Nein.«
»Brian ist nicht so, falls du das meinst.«
»Nein, nein, es ist nichts —«
»Manchmal wünschte ich mir, er war so.« Sie schritt schneller aus. Er ließ sich Zeit, sie wieder einzuholen.
Sie gingen am Auld Hoose Pub vorbei wieder hinunter in den Ort. Was heute Cardenden hieß, waren früher vier eigenständige, als ABCD bekannte Gemeinden gewesen: Auchterderran, Bowhill, Cardenden und Dundonald. Zu der Zeit, als sie miteinander gegangen waren, hatte Rebus in Bowhill gewohnt, Janice in Dundonald. Wenn er sie nach Haus begleitete, dann immer hier entlang: den längsten Weg, den es gab. Sie überquerten den Fluss Ore an der alten buckligen Brücke - die inzwischen längst durch eine Asphaltstraße ersetzt worden war. Manchmal, im Sommer etwa, schlenderten sie durch den Park und überquerten den Fluss ein Stück weiter stromaufwärts, über eines der dicken Rohre. Diese Rohre boten den Kindern Gelegenheit zu einer beliebt-berüchtigten Mutprobe. Rebus hatte Jungen erlebt, die in der Mitte erstarrten, bis schließlich ihre Eltern geholt werden mussten. Ein Junge
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