Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote
Jedenfalls nicht mit der ersten. Außerdem ist Tredown nicht gesund.«
»Sie meinen, seine Exfrau ist zurückgekommen und lebt nun mit ihm und seiner zweiten Frau zusammen?«
»So in der Art, Guv. Näheres weiß ich nicht. Ist ein komischer Haufen, aber vermutlich verstehen sie sich. Inzwischen ist Tredown krank. Das Herz, glaube ich, könnte aber auch Krebs sein. Wir werden uns dann wohl mal mit ihnen unterhalten müssen.«
Vor nicht allzu langer Zeit war das Olive and Dove ein ruhiges konservatives Landgasthaus gewesen, mit einem Bad für fünf Zimmer, mit einer Bar und einem Lokal, wo man mittags ohne musikalische Berieselung Krabbencocktail, Lammbraten und Apfelkuchen servierte. Doch allmählich hatte es sich zu einem schicken In-Hotel entwickelt, das im Good Hotel Guide mit vier Sternen ausgezeichnet worden war. Früher hatte es am Ortseingang von Kingsmarkham gestanden, mit Blick auf die Brücke über den Kingsbrook, der trotz seines Namens ein recht beachtlicher Fluss war. Das Haus stand immer noch am alten Fleck, auch wenn man die Brücke verbreitert und die Geschäftszone sich auf einen Bereich ausgedehnt hatte, in dem es früher nur große Buchen, saure Wiesen und ein paar Cottages gegeben hatte. Die Buchen waren immer noch da, auch wenn sie jetzt inmitten von Pflastersteinen wuchsen, die sauren Wiesen hatten sich knapp fünfhundert Meter zurückgezogen. Und die Cottages? Die hatten inzwischen neue Dächer und Doppelglasfenster und dienten als Wochenendsitze.
Zwischen neuen Bädern, Sauna und Spa, der Crystal Bar und der Moonraker’s Bar, zwischen Fitnessraum und Computerraum, der aus unerfindlichen Gründen Chez L’Ordinateur hieß, zwischen dem Wintergarten und dem »Ruheraum« war nur eines gleich geblieben: das alte kleine gemütliche Nebenzimmer. Angeblich hatte man es einzig und allein – oder wenigstens teilweise – auf Wunsch von Chief Inspector Wexford behalten, der dabei vom besten Barmann des Olive Rückendeckung erhalten hatte. Nur über seine Leiche würde dieses Zimmer verschwinden, hatte dieser gemeint. »Wir wollen hier in der Gegend keine weiteren Leichen mehr haben«, hatte Wexford damals erwidert, aber jetzt gab es doch eine, und die war schon elf Jahre tot.
»Also können wir von Juni aus den Todeszeitpunkt elf Jahre zurückdatieren«, konstatierte Burden, während er Wexfords unerlässlichen Rotwein und für sich selbst ein Glas Bier zu ihrem Tisch trug. »Was ist damals wohl passiert? Irgendwann, Ende Mai, hatten Grimble und Bill Runge mit dem Aushub des Grabens begonnen, aber am zwölften Juni wurde Grimbles Bauantrag abgelehnt. Das habe ich beim Bauamt überprüft. Vier Tage später, am sechzehnten, hat Runge den Graben zur Hälfte aufgefüllt. Nach Einbruch der Dunkelheit hat der Mörder von Mr. X oder ein Komplize einen Teil der Erde ausgehoben, hat die in ein lila Bettlaken gewickelte Leiche hineingelegt und die Erde wieder zurückgeschaufelt. Nichts deutete darauf hin, dass sich jemand an dem Graben zu schaffen gemacht hatte. Am nächsten Tag hat Runge den Rest aufgefüllt.«
»So ungefähr. Ist es denn ein Bettlaken gewesen?«
»Das Labor behauptet es zumindest. Jetzt sind nur noch Fetzen vorhanden, aber früher sei es mal ein lila Bettlaken gewesen.«
»Ich frage mich, wer hat, beziehungsweise hatte, lila Bettlaken? Die ganze Sache muss kinderleicht gewesen sein. Probleme hat wohl nur der Transport der Leiche bereitet, denn es ist unwahrscheinlich, dass man den Mann dort draußen ermordet hat.« Wexford trank einen kleinen Schluck von seinem Rotwein. »Seltsam, obwohl ich weiß, dass es unmöglich ist, bilde ich mir ein, ich könnte sehen, wie dieser Stoff durch meine Arterien rinnt und wie von Zauberhand den ganzen hässlichen Belag von den Gefäßwänden löst. In Wirklichkeit ist es natürlich ganz anders.«
»Ja, sicher«, erwiderte Burden. »Mein Schwager hatte eine sogenannte Koloskopie und hat den Vorgang auf einem Bildschirm verfolgt. Er meinte, sein Darm habe ausgesehen, als wäre er mit rosa Satin verkleidet.«
»Moderne Medizin ist etwas Wunderbares. Ich wünschte nur, man würde nicht tagein, tagaus damit berieselt. Im Mittelalter haben die Leute angeblich ständig Gott im Munde geführt, und zu Königin Victorias Zeiten war es der Tod. Wir reden über unser Innenleben. Na gut, zurück zum Thema. Also, wir kennen zwar nicht den exakten Todestag, aber wir wissen, wann der Mann begraben wurde. Vermutlich ist der Tod erst Stunden vorher eingetreten,
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