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Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Titel: Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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von ihr zu sehen.

11
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    Trotz des morgendlichen Sonnenscheins meldete der Wetterbericht heftige Regenschauer. Barry Vine hatte seinen Regenmantel seit jener ominösen Fahrt nach Wales nicht mehr vom Haken genommen. Im Gegensatz zu den meisten Gleichaltrigen, die mit Vorliebe wasserdichte Jacken aus unterschiedlichen Materialien trugen, besaß er einen Regenmantel. Er fand, darin mache er mehr Eindruck. Mit einem Regenmantel wirke er wie einer jener berühmten Detektive aus den Filmen der Vierzigerjahre. Und das lag wiederum an einem einzigen Accessoire: am Gürtel, der ihm besonders gut stand, weil er dahinter seine allmählich leicht dicker werdende Taille verstecken konnte. Als Barry ins Auto stieg, tastete er in der Manteltasche nach seinen Schlüsseln, fand aber nur eine gefaltete Zeitungsseite. Da fiel ihm wieder ein, dass seine Schlüssel in der Hosentasche steckten.
    Beinahe hätte er die Seite weggeworfen. Wenn er eine Papiertonne gefunden hätte, wäre es längst passiert, so aber legte er sie in dem Büro, das er mit Hannah Goldsmith und Damon Coleman teilte, ungeöffnet auf seinen Schreibtisch. Warum hatte er diesen Zeitungsartikel überhaupt einmal lesen wollen? Nur weil ihn diese ungehobelte Frau gelesen hatte, diese Dilys Hughes? Sicher nicht. Er hatte nur einen flüchtigen Blick auf die Überschrift – Spurlos verschwunden: Der verlorene Vater von Selina Hexham, Erster Teil – werfen können, da musste er auch schon zu Wexfords Morgenkonferenz. Mit Sicherheit hatten ihm einzelne Wörter ins Auge gestochen, dieses »spurlos verschwunden« und dann noch »der verlorene«. Jeder Konferenzteilnehmer führte diese Wörter ständig im Mund. Man lebte, aß, trank und schlief damit, ohne dass es sie bisher recht weit gebracht hatte.
    Wexford sagte den mit Maeve Tredown und Claudia Ricardo vereinbarten Termin ab. Stattdessen beschloss er, die Bewohner von Athelstan House zu überraschen. Wie hatte er zu Burden gesagt? – Er habe keinen Grund, Tredown zu verhören, geschweige denn, ihn zu verhaften und aufs Revier mitzunehmen. Er sei lediglich überzeugt, dass Tredown eindeutig unter der Fuchtel von Claudia und Maeve stand, die ihn beschützten und versteckten. Und diese innere Überzeugung wolle nicht weichen.
    Er hatte sich für einen Besuch mit Burden mitten am Nachmittag entschieden. »Um diese Zeit kann er wohl kaum arbeiten«, meinte Wexford. »Wenn er schon jeden Vormittag und teilweise auch noch nachmittags schreibt, braucht er unbedingt etwas Erholung. Jetzt müsste eigentlich ein guter Zeitpunkt sein.«
    Sie rechneten damit, dass sie die Schutzwälle der beiden Frauen unterminieren müssten. Maeve würde die Haustür öffnen, während Claudia sie wenige Meter weiter drinnen erwarten würde. Gemeinsam würden sie eine Entschuldigung nach der anderen vorbringen, warum Tredown nicht zu sprechen sei. Er ruhe sich gerade aus. Er schlafe. Er sitze bereits wieder an seiner Arbeit. Und das alles würden sie auf ihre typisch witzige Art frank und frei vorbringen und sich dabei doch dumm stellen, in einer Mischung aus schrägem Humor und Gekicher, von Claudia mit jeder Menge schlüpfriger Bemerkungen gewürzt … Doch es kam ganz anders.
    Die vorhergesagten heftigen Regenfälle waren ausgeblieben. Es war einer jener frühen Novembertage, an denen die Sonne vom blauen Himmel strahlte und fast perfekte Sicht herrschte. Von der Straße zwischen Kingsmarkham und Flagford aus konnte man der Länge nach den ganzen Cheriton Forest sehen, der immer noch Blätter in allen Farben trug, von Dunkelgrün bis Zartgelb, und in der klaren reinen Luft zeichneten sich am nebelfreien Horizont weich, aber deutlich die Downs ab. Auf dem Weg ins Dorf passierte Donaldson Morellas Obstfarm, die Kirche und die lange Reihe von Cottages in Flagford, die zwar pittoresk aussahen, aber schrecklich unbequem waren. Für einen höchstens einssechzig großen Menschen mochten diese Häuschen ja angehen, meinte Wexford zu Burden, aber für Leute von normaler Statur seien sie viel zu niedrig, wie er selbst schmerzhaft hatte erfahren müssen.
    Im klaren hellen Licht wirkte selbst Athelstan House attraktiv, dieses bunte Kuriosum aus viktorianischer Zeit. Als sie sich der Auffahrt näherten, entdeckte Wexford eine große, ziemlich gebeugte Gestalt, die soeben am Haus vorbei auf die Rückseite ging. Er ließ Donaldson an Ort und Stelle anhalten und parken. Er wollte mit Burden diesem Mann folgen, bei dem es sich mit Sicherheit um Owen Tredown

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