Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote
vorhandenen Salbeiaroma in der Luft aufnehmen und es überlagern. »Sind Sie immer noch böse auf uns, Chief Inspector?«, flüsterte sie ihm fast ins Ohr.
Er ignorierte sie. »Haben Sie diesen Einbruch der Polizei gemeldet? Nein? Die Leiche aus dem Graben war nämlich in ein lila Bettlaken gewickelt!«
Claudia stieß einen schrillen Schrei aus, der so laut war, dass die Amsel Reißaus nahm. »Wie schrecklich! Mein altes Bettlaken als Leichentuch missbraucht!«
»Mr. Tredown, wir werden Sie jetzt wieder verlassen«, sagte Wexford. »Sagen Sie, schreiben Sie momentan an etwas?«
Claudia übernahm für ihn die Antwort. » Momentan nicht, wie Sie sehen. Momentan sitzt er hier und raucht Salvia .« Wieder begann sie zu lachen. »Sind Sie nicht schockiert? Mag sein, dass es sich um ein Suchtmittel handelt, aber eben um ein strikt legales. Ein bisschen unanständig, aber legal.«
Zum ersten Mal machte ihr Exehemann den Eindruck, als geniere er sich ihretwegen, denn er meinte lahm: »Also wirklich, Cee, lass das.« Und fuhr dann, zu Wexford gewandt, fort: »Eigentlich widme ich mich zur Abwechslung wieder einmal meinem alten Thema und schöpfe aus der reichen Fundgrube biblischer Geschichten. Haben Sie eines meiner Bücher gelesen?«
»Ja, Die Königin von Babylon .« Fragen Sie mich bitte nicht, ob es mir gefallen hat.
Er fragte nicht. »Ach ja, Esther. Sie war dafür verantwortlich, dass man Haman gehängt hat. Diesmal verwende ich die Geschichte von Judith und Holofernes.«
Beim Aufstehen taumelte er ein wenig und legte sich eine Hand ins Kreuz. Lag es am Krebs oder am Salbei? Wexford wusste es nicht so recht. Sie begleiteten ihn zum Haus zurück, gefolgt von den kichernden Frauen. Als sich Wexford von Maeve Tredown verabschiedete, wurde ihm eines klar: Nie hätte er sich träumen lassen, dass eine kleine Blondine mit Pullover und Rock auf ihn einen unheimlichen Eindruck machen könnte. Sie gingen zum Wagen.
»Spinnen die denn alle?«, fragte Burden.
»Weiß der Himmel. Wenigstens ist er höflich und kichert nicht hämisch bei jedem Wort, das fällt. Züchten die den Salbei selbst? Oder kaufen sie ihn? Hilft er gegen Schmerzen? Aber in einem hat Claudia recht: Es ist völlig legal.«
Burden umging die Frage nach der Salvia . »Auf mich wirkt er wie ein Sterbender. Du bist der Bücherwurm. Du kannst mir sagen, ob die Leute tatsächlich Bücher – Romane – über Bibelgeschichten lesen. Ich meine, kommt so etwas an?«
»Ich denke, nicht. Mir hat dieses Buch über Babylon nicht viel gebracht. Ich habe es nicht mal ausgelesen. Aber der Roman, der die Vorlage für den Film bildet, in dem Sheila mitspielen wird, der dreht sich nicht um die Bibel. Das ist Fantasy, mit antiken Göttern und Göttinnen und Fabelwesen, mit Himmel und Hölle. Das war ein enormer Bestseller.«
»Solche Sachen werde ich nie kapieren«, konstatierte Burden.
Wexford berichtete seinen Konferenzteilnehmern über das lila Bettlaken. »Jedenfalls wurde der Einbruch nicht gemeldet. Allerdings bezweifle ich, ob wir andernfalls noch einen Bericht darüber hätten. Noch Fragen?«
Hannah hob die Hand. »Guv, gibt es Überlegungen, ob der Einbrecher unser Täter ist?«
»Möglicherweise. Maeve Tredown würde uns gerne auf diese Spur lenken.«
»Aber das ist irre, Guv. Stiehlt ein Schurke wirklich ein Bettlaken, damit er ein Tuch parat hat, um eine Leiche einzuwickeln? Und obendrein noch aus dem Nachbarhaus? Versucht er damit die Tredowns zu belasten? Kennt er die Tredowns überhaupt?«
»Keine Ahnung, Hannah. Falls Ihnen irgendwelche Antworten einfallen, würde ich sie gern hören.«
Damon Coleman hatte nichts beizutragen. Es war Freitag, und er war mit Burden unterwegs. Zuerst wollten sie Irene McNeil befragen und danach dem Haus auf Grimble’s Field noch einmal einen Besuch abstatten. Barry wollte schon etwas zu dem Buchauszug anmerken, den er in der Sunday Times gelesen hatte, überlegte es sich dann aber anders. Die Geschichte trug nicht recht und war viel zu weit hergeholt. Erneut faltete er die Zeitungsseite zusammen und steckte sie in seine Manteltasche.
Mrs. McNeils Putzfrau bat sie herein. Ihre Chefin saß in einem Lehnstuhl und hatte die Füße auf einen Schemel gelegt. Ihre geschwollenen Knöchel quollen über die Schuhränder. Mit Sicherheit trug sie nicht nur zu enge Schuhe, sondern hatte auch Schmerzen.
»Mrs. McNeil, wir möchten Ihnen gern noch ein paar Fragen bezüglich Ihrer Besuche im Haus von Mr. Grimble stellen«,
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