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Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Titel: Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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Ersparnissen. Es wäre klug gewesen, unser Haus zu verkaufen und dafür eine Wohnung zu erwerben, die für uns drei gereicht hätte, das wusste sie. Trotzdem konnte sie das Haus nicht verkaufen. Es gehörte ihr nicht, oder besser gesagt, es gehörte ihr und Papa gemeinsam, und Papa war nicht da und konnte sich nicht mit dem Verkauf einverstanden erklären. Um über die Runden zu kommen, vermietete sie eines der Zimmer im oberen Stockwerk, ihr eigenes Schlafzimmer: Wir behielten unsere Zimmer, während sie in Papas Arbeitszimmer zog.
    Zuvor musste man dieses Zimmer aber noch ausräumen. Ich muss hier betonen, wie schrecklich das alles für sie war, und wie sehr wir alle darunter litten, besonders aber sie. Ihr eheliches Schlafzimmer einer Fremden zu überlassen, war schon schlimm genug, aber Papas Arbeitszimmer zu betreten, das sie immer irgendwie als sein unantastbares und absolut privates Heiligtum betrachtet hatte, dieses Zimmer in seine Bestandteile zu zerlegen und auszuräumen, bereitete ihr tiefste Qualen. Ein größeres Sakrileg gab es nicht. Und doch hat sie es getan. Es blieb ihr nichts anderes übrig. Und wir haben sie dabei begleitet. Nicht wir hatten gebettelt, dabei sein zu dürfen, sondern sie hatte uns gefragt. Meiner Ansicht nach wollte sie dort drinnen nicht allein sein, oder sie hatte Angst, sie könnte die Fassung verlieren und mit einem Weinkampf zusammenbrechen.
    Wir, Vivien und ich, waren noch nie vorher in diesem Zimmer gewesen, auch wenn es seltsam klingt. Mama natürlich schon, wahrscheinlich als wir noch klein waren und sie dieses Zimmer mit ihm gemeinsam als sein zukünftiges Allerheiligstes hergerichtet hat. Später haben wir auf dem Weg ins Bett einen Blick hineinwerfen können, zum Beispiel wenn Papa herauskam, um uns gute Nacht zu sagen, und dabei die Tür offen ließ. Eigentlich haben wir uns überhaupt nicht dafür interessiert. Es war nur ein ganz normales kleines Zimmer, eine Art Abstellkammer, wie man das in Häusern wie unserem nannte. Dort hatte man nach dem Bau des Hauses, als der Platz noch nicht knapp war, vermutlich Kartons und Koffer aufbewahrt. Beim Hineinschauen entdeckten wir ein Zimmer, das kaum größer war als ein Schrank, mit Schreibtisch und Stuhl, Aktenschrank, überquellenden Bücherregalen und jeder Menge Papier. Mehr hatte darin nicht Platz. Sechs Monate nachdem Mama ihren Mann und wir unseren Vater verloren hatten, betraten wir es zum ersten Mal. Mit Mühe hatten wir alle gerade noch Platz darin, und das auch nur, weil wir klein und schlank waren.
    Einen Computer gab es nicht. Vivien und ich hatten uns an Computer gewöhnt, obwohl wir selbst keinen hatten, aber in der Schule gab es welche. Noch nie hatten wir eine elektrische Schreibmaschine gesehen. Mama musste uns erst erklären, was das war. In unseren Augen handelte es sich um etwas Uraltes, was genauso vorsintflutlich war wie ein Füllfederhalter oder ein Ein-Pfund-Schein. Uns interessierte, wozu Papa so etwas gebraucht hatte. »Für den Abschluss seines Aufbaustudiums«, war die einzige Antwort, die Mama einfiel, und dann sagte sie: »Um seine Diplomarbeit zu schreiben.« Angenommen, das war die Wahrheit. Was war dann mit der Diplomarbeit passiert? Hatte er schon damit begonnen? War sie halb fertig?
    Was es auch gewesen sein mochte, jedenfalls fand sich nicht der kleinste Hinweis mehr darauf. In Anbetracht unserer Fundstücke hätte Papa ebenso gut hier drinnen sitzen und zum wiederholten Mal die Bücher aus dem Regal lesen können. Die Bücher selbst lieferten keinen Hinweis: The Oxford Dictionary , Roget’s Thesaurus und Brewers Lexikon des guten Schreibstils , ein Lexikon der Antike, Ovids Metamorphosen in einer Neuübersetzung, Isländische Sagen, Romane von J. R. R. Tolkien, Ursula Le Giun und Terry Pratchett, Darwins Über die Entstehung der Arten und Die Fahrt mit der Beagle sowie Bücher von Stephen Jay Gouls und Richard Dawkins.
    Wir trugen die Bücher hinunter und stapelten sie aus Platzmangel oben auf den Bücherregalen. Die Zeitungen verfrachteten wir auf den Speicher, die leeren Blätter behielten wir zum Briefeschreiben. Leider schrieben wir kaum Briefe. Wir hatten keine Brieffreunde, und so liegt das Papier immer noch in dem Haus, in dem ich seit Mamas Tod allein wohne. Wir fanden nur ein einziges Stück Papier, das uns vielleicht einen Hinweis darauf hätte liefern können, wohin Papa nach Maurice Davidsons Begräbnis gegangen war, aber leider vergeblich. Warum hatte ich mir eingebildet, es

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