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Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Titel: Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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hätte eine Spur sein können? Ich weiß es nicht. Vielleicht weil es die einzige handschriftliche Aufzeichnung war. Natürlich fanden wir Scheckbelege. Schließlich erledigte er in diesem Zimmer ja auch Geschäftliches, bezahlte Rechnungen, füllte Formulare aus und solche Dinge. Und doch war dieser Zettel von der Größe einer DIN-A5-Seite das einzige Handschriftliche, was er hinterlassen hatte. Es ließ sich kaum vermeiden, dass wir daraus schlossen, er habe bewusst alles aus diesem Zimmer entfernt, was auch nur den leisesten Hinweis auf Ziel und Sinn seiner Reise hätte liefern können. Genau das habe ich auch zu Mama gesagt, aber sie wollte davon nichts hören und meinte: »Er wusste nicht, dass er sterben würde, während ich weiß, dass er tot ist. Ich weiß es einfach.«
    Und der Zettel? Was stand auf diesem einzigen handschriftlichen Dokument? Eine Namensliste zeitgenössischer Autoren, hauptsächlich von Science-Fiction-Autoren, die alle noch lebten, und dazu eine Liste von Verlagen. Darunter hatte er geschrieben: »Recherchieren? Korrekturlesen? Redigieren?«
    Mama meinte, der Zettel würde uns bei der Suche nach seinem Ziel an jenem Nachmittag nicht weiterhelfen, doch dann fiel ihr etwas ein: Als sie vor Jahren unseretwegen keinen Job annehmen konnte, hatte Papa überlegt, ob er nicht versuchen sollte, Arbeit als Gutachter für einen Verlag zu finden. Dass es so etwas gab, wusste er, denn Verleger beschäftigten Leute zum Lesen von Manuskripten. Aber er hat es nie gemacht. Sein Aufwand hätte in keinem Verhältnis zu dem geringen Honorar gestanden. Anschließend haben wir tatsächlich die Verlage auf der Liste angerufen, aber keiner hatte je etwas von ihm gehört. Auch das brachte uns also nicht weiter.
    Inzwischen war sein Arbeitszimmer leer – schließlich war er zu diesem Zeitpunkt schon über ein Jahr fort –, und Mama zog ein. Ihr Schlafzimmer überließ sie der Untermieterin. Vera war eine ruhige und ordentliche Frau. Vivien und ich konnten sie trotzdem nicht leiden. Wir hassten es, dass wir mit ihr ein Badezimmer teilen mussten, obwohl uns das bei Papa nie etwas ausgemacht hatte. Vermutlich ist es für Vera viel härter gewesen, mit uns ein Bad zu teilen. Inzwischen kamen wir in das Alter, in dem Mädchen das Bad blockieren, Handtücher auf den Fußboden werfen und ein heilloses Durcheinander hinterlassen. Vera aß fast nur Gebratenes, deshalb stank unsere Küche ständig nach Bratfett, was Mama am meisten störte. Mehr als die Tatsache, dass sie in diesem winzigen Zimmer schlafen musste, das sie sicher stündlich an die Zeit erinnerte, als Papa hier still und glücklich gesessen hatte. Mehr als die Tatsache, dass sie das Auto verkaufen und auf Sommerurlaub verzichten musste.
    Man kann sich an alles gewöhnen. Oder doch nicht? Trotz der radikalen Veränderung in unserem Leben hatten Vivien und ich immer noch die Schule, die wir beide mochten, und unsere Freunde und die Großeltern, die uns unendlich viel Gutes taten, auch wenn wir das damals nicht wussten. Kinder interessieren sich für so etwas nicht. Aber später hat uns Mama erzählt, dass Papas Eltern zwei Jahre lang die Hypothek und sämtliche Handwerkerrechnungen bezahlt haben. Als ich fünfzehn und Vivien dreizehn war, starb unsere Omi, und Großpapa zog bei uns ein. Das war das Ende von Vera mit ihrer Bratpfanne und der stinkenden billigen Parfümwolke, die sie im Bad hinterließ. Danach mussten wir auch nicht mehr jeden Penny umdrehen und uns neue Sachen restlos verkneifen. Seit drei Jahren hatte sich meine Mutter nicht einmal einen Pullover gekauft, geschweige denn ein Paar Schuhe. Mit Großpapa im Haus wurde alles anders. Laut Mama hatte er sein eigenes Haus für eine erstaunliche Summe verkaufen können. Außerdem hatte er noch eine sehr gute Rente und brachte sein Auto mit.
    Wir beide liebten Großpapa. Er war großzügig, unkompliziert und nie aufdringlich, aber das Beste an ihm war in meinen Augen, dass er uns an Papa erinnerte. Mama muss das wehgetan haben, ganz im Gegensatz zu mir, und Vivien sah es vermutlich ähnlich. Seine Stimme klang wie die von Papa, und er ähnelte ihm auch physisch, obwohl Papa ein bisschen größer gewesen war. Großpapa hatte immer noch volle Haare, die obendrein noch ziemlich dunkel waren. Wenn ich manchmal von der Schule heimkam und in unser Wohnzimmer lief, saß Großpapa in einem Lehnstuhl und las. Er war ein Vielleser – genau wie Papa. Dann drehte er sich um, sagte Hallo, streckte eine Hand aus

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