Inspektor Jury küsst die Muse
habe nämlich keine Lust, die Leute in diese alten Mühlen zu packen, sie zu irgendwelchen Museen und Galerien zu karren und sie – und mich – in Absteigen voller Ungeziefer einzuquartieren, in denen das Essen aus Fisch und Pommes frites besteht. Oder mit ihnen auf eine dieser gräßlichen Karibikinseln zu fahren, wo statt der Ventilatoren nur die Fliegen summen und wo man Palmen nur auf Postkarten sieht – nein, vielen Dank. Wir versuchen es so einzurichten, daß Abhängigkeit und Unabhängigkeit sich die Waage halten. Unsere Kunden können mit ihrer Zeit anfangen, was sie wollen; sie können die Geschäfte plündern oder zehn Stunden beim Dinner sitzen. Die Farradays zum Beispiel – der Gute weiß wirklich nicht wohin mit dem Geld – wären lieber tot als ohne ihren Komfort, ihre Pools, ihre Bars –»
«Womit wir beim nächsten Thema wären: Wann haben Sie das letzte Mal den kleinen Farraday gesehen?»
«James Carlton? Hmm», Honeycutt ließ den Blick auf Melrose ruhen, während er nachdachte. «Es muß Sonntag oder Montag gewesen sein. Ja, Montag. Warum? Hat sich der Bengel wieder aus dem Staub gemacht?»
«Das überrascht Sie nicht?»
Er pfiff durch die Zähne. «Der brennt doch ständig durch und kommt dann völlig abgerissen zurück, als hätte er mit einem Schwarm Haie gekämpft. Das macht der mit links. Die Tochter, Honey, das ist ein richtiger kleiner Luxusartikel … Farraday hat doch nicht wegen James Carlton die Polizei eingeschaltet?»
Jury nickte. «Sie haben ihn das letzte Mal Montag morgen beim Frühstück gesehen?»
«Ich denke, es war Montag morgen. Ziemlich früh auf der Sheep Street. Ich habe ihn gar nicht weiter beachtet; er schwirrt immer irgendwo herum. Fragen Sie seine Schwester Penny. Sie ist die einzige, mit der er redet. In einer sehr eigenen Sprache», fügte er teilnahmslos hinzu.
«Haben Sie denn nun Miss Bracegirdle zusammen mit jemandem gesehen? Was ist mit diesem George Cholmondeley? Er ist auch ohne Anhang–»
«Und wollte bestimmt auch keinen, zumindest nicht die gute alte Gwen, meine Herren.» Allein bei der Vorstellung schienen sich ihm die Haare zu sträuben. Dann zog er einen Flunsch und fügte hinzu: «Amelia Farraday wäre schon eher sein Typ.»
«Und Harvey Schoenberg?»
«Du lieber Himmel, Sie haben uns alle ja wirklich beim Wickel.»
Jury lächelte. «Ich frage ja nur. Also wie steht’s mit Schoenberg? Er besitzt anscheinend auch das nötige Kleingeld.»
«Er hat seine eigene Computerfirma. Haben Sie eine Ahnung , wieviel Geld man mit Computern machen kann? Natürlich hat Gwen ihn gekannt, aber ich weiß nicht, ob sie mit –» Plötzlich schien er zu kapieren. «Hören Sie, Superintendent, soll das heißen, daß Gwen von einem aus unserer … » Er wies den Gedanken sofort von sich. «Grotesk!»
«Nein, soll es nicht. Ich sondiere lediglich das Terrain.»
Jury stand auf, und Melrose Plant griff nach seinem Spazierstock. «Aber jemand versucht wohl, Honeysuckle Tours die Tour zu vermasseln –»
Bei dieser Bemerkung begann das Honeycutt-Blümchen dahinzuwelken: Das gelbe Halstuch wurde schlaff, das Leinenjackett hing traurig an ihm herunter. «Oh, mein Gott.»
«Scheußlich», sagte Melrose Plant, als sie wieder auf dem Gehsteig standen.
«Ich bin ganz Ihrer Meinung», erwiderte Jury. «Was halten Sie davon, morgen bei den Dews vorbeizuschauen? Sie sind im ‹Hathaway› abgestiegen. Ich möchte mit diesem George Cholmondeley sprechen.»
«Lady Dew», sagte Melrose Plant. «Warum bleibe ich immer auf den Adligen sitzen?»
Jury lächelte. «Jedem das Seine. Dieser Honeycutt – ich frage mich, was für ein Typ sein Partner in Atlanta ist?»
Melrose blieb auf der dunklen Straße stehen, in der das kleine Schild des «Falstaff» gerade noch zu erkennen war. «Weiß ich auch nicht. Aber ich stelle mir vor, sie passen zueinander wie der Deckel auf den Eimer.»
11
Chief Superintendent Sir George Flanders, Abteilungsleiter im Polizeibezirk Warwickshire, war ein hochgewachsener Mann, der Lasko weit überragte, aber nicht ganz an Jury herankam. Sir George lehnte es ab, sich zu setzen; er weigerte sich sogar, seinen Regenmantel abzulegen – als könnten diese Anzeichen von Ungeduld seine Polizeikräfte anspornen, der Lösung des Falles schnell näherzukommen, selbst auf die Gefahr hin, daß sie sich auf dem Holzweg befanden. Zumindest vermittelte er diesen Eindruck, wenn man ihn in der Einsatzzentrale stehen sah, während er auf den riesigen
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