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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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betreten.
    Die Schritte hielten inne. Es schepperte, und das Tablett wurde durch den Türschlitz geschoben, vor dem die Katze wie vor einem Mauseloch saß.
    James Carlton sah von seiner erhöhten Position herab.
    Jell-O.
    Wieder auf seinem Bett, leckte er sich das Fett von dem Brathähnchen von den Fingern, die Katze leckte sich die Pfoten. Mit dem Einbruch der Nacht verfärbte sich das Fenster dunkelviolett. Irgendwo am Himmel sah er sogar zwei kalt glitzernde Sterne. Er gähnte. Die Stange hatte auch noch bis morgen Zeit. Aber er langweilte sich, und es gab nichts Interessantes in diesem Zimmer außer dem Bücherbord in der Ecke, auf dem ein paar alte Bücher mit einer dicken Staubschicht standen, die schon lange nicht mehr in die Hand genommen worden waren – einige Romane von Dickens, so vergilbt und fleckig, als hätten sie im Regen gelegen; ein paar dünne Gedichtbände, zwei Kochbücher, die noch in ihren zerrissenen Schutzumschlägen steckten.
    Er zerrte Eine Geschichte aus zwei Städten heraus, was beinahe so schwierig war, wie die Eisenstange zu lockern. James Carlton war eine ausgesprochene Leseratte, aber er hatte gleich zu Anfang beschlossen, daß er keine Zeit zum Lesen hätte – nicht, wenn es so viele Probleme zu lösen gab. Er wunderte sich, daß seine Entführer so dumm waren und Bücher herumliegen ließen, während sie alles übrige, Schreibpapier und Hefte, entfernt hatten. Um jemandem eine Nachricht zukommen zu lassen, hätte er nur eine Seite rauszureißen brauchen. Man konnte sogar einen Text zusammenstellen, indem man die Wörter oder Buchstaben unterstrich, und das war auch ohne Bleistift möglich. Er hatte zu diesem Zweck immer ein Streichholzbriefchen bei sich, falls jemand den Bleistiftstummel in seinem Strumpf entdecken sollte. Mit Streichhölzern konnte man alles mögliche anfangen, nicht nur Dinge in Brand setzen. Wäre er von seinen Entführern nicht außer Gefecht gesetzt worden, hätte er mit den Streichhölzern eine Spur hinterlassen können, obwohl sie vielleicht nicht bis an den Ort seiner Gefangenschaft gereicht hätten.
    Er blickte auf das Tablett und das Brötchen auf seinem Teller. Bis morgen würde es hart sein und sich ganz einfach zerkrümeln lassen. Falls er sich im Wald verliefe, könnte er dann zu seiner Orientierung eine Spur hinterlassen. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, daß er bei Tagesanbruch im Wald sein würde. Er nahm das Brötchen vom Teller.
    Hamburger, Brathähnchen, Pommes frites – warum hielten seine Entführer ihn nicht bei Brot und Wasser, um seine Widerstandskraft zu schwächen, bevor sie ihn folterten? Dieser Gedanke beunruhigte ihn etwas. Aber dann sagte er sich, daß sie das wohl nicht tun würden, denn er war sicherlich aus einem ganz bestimmten Grund gekidnappt worden – wegen des Lösegelds. J. C. Farraday war nämlich enorm reich.
    Die Katze schlummerte am Fußende des Bettes, und er spürte, wie ihm die Augen zufielen. Aber einschlafen konnte verhängnisvoll sein. Er blickte auf den Dickens. Wenn man nicht einmal als Entführter Zeit zum Lesen fand, wann dann? Der Rücken brach beinahe auseinander, als er das Buch aufschlug, und die Seiten knisterten, so alt waren sie.
    Ja, dachte James Carlton, das waren allerdings schlimme Zeiten gewesen. Eigentlich war es toll von Sydney Carton, überlegte er, daß er schließlich die Schuld auf sich genommen hatte. James Carltons Stiefvater sagte immer, die Zeiten hätten sich geändert, und das stimmte. Heutzutage würde man wohl kaum jemanden finden, der sich für einen hängen ließ. Sein richtiger Vater würde so etwas natürlich tun. Und seine richtige Mutter auch. Er sah vom Buch hoch und fragte sich, wo die beiden wohl waren. Sein Vater war wahrscheinlich Bankdirektor oder Baseballspieler, und er sah aus wie Jim Palmer. Die Baltimore Orioles waren James Carltons Lieblingsteam. Er wußte auch, wie seine Mutter aussah: wie Sissy Spacek. Der Beweis war für ihn weniger das kleine Foto, das Penny besaß, sondern daß Penny selbst wie Sissy Spacek aussah – die gleichen Sommersprossen, die gleichen langen, glatten Haare und die etwas schrägstehenden Augen. Im Grunde war er davon überzeugt – obwohl er außer Penny nie jemandem davon erzählt hatte –, daß Sissy Spacek tatsächlich seine Mutter war. Er hatte alle ihre Filme mindestens dreimal gesehen. Immerhin hatte er ihr längst verziehen – er konnte verstehen, daß es nicht so einfach war, sich in Hollywood durchzusetzen, daß man um

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