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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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zurecht. Racer hatte seine wahre Berufung bei der Polizei verfehlt. Er hätte Gerichtsmediziner werden sollen.
    Als er mit Wiggins, der ein wenig blaß aussah (was er allerdings immer tat), fertig war, lehnte Racer sich in seinem ledernen Drehstuhl zurück, zupfte ein Fädchen von seinem maßgeschneiderten Anzug, rückte die Mininelke in seinem Knopfloch zurecht und schenkte Jury ein schneidendes Lächeln.
    «Der Schlächter», sagte er und sah Jury an, als säße ihm der Schlächter in all seiner blutigen Pracht gegenüber. «Es ist wirklich bemerkenswert, Superintendent »(Racer hatte Jurys letztjährige Beförderung bis heute nicht verkraftet), «daß Sie rein zufällig nach Stratford-upon-Avon fahren und mit zwei Morden und einem Vermißten auf Ihrem Konto zurückkommen.» So wie sein Vorgesetzter sich ausdrückte, hätte Jury genausogut ein Sammler obskurer Kriminalfälle sein können. Racer stand auf, um seine obligatorischen Runden im Zimmer zu drehen, und fügte großmütig hinzu: «Nicht daß ich Sie persönlich für die Umtriebe dieses Verrückten verantwortlich machen kann –»
    «Ich danke Ihnen», sagte Jury.
    Kurze Pause. « Superintendent Jury, Ihr Sarkasmus ist gänzlich unprofessionell und fehl am Platze.» Er stand hinter ihnen und glaubte vielleicht, einen psychologischen Vorteil zu haben, wenn er zu ihren Hinterköpfen sprach. Aus den Augenwinkeln sah Jury, daß Wiggins die Gelegenheit beim Schopf ergriff, um vorsichtig die Packung Hustenbonbons zu öffnen.
    «Doch, wie mir scheint», fuhr Racer fort, «begnügen Sie sich nicht damit, sondern greifen beharrlich in Ermittlungen ein, die in den Zuständigkeitsbereich der Polizei von Warwickshire fallen. Haben die etwa um unsere Hilfe gebeten? Keineswegs! Mir bleibt es dann überlassen, die Wogen zu glätten und dem Chief Constable dort süßen Brei ums Maul zu schmieren –»
    Süßen Brei? Racer? Säure in die Augen tröpfeln wäre wohl richtiger. Der zahnlose Tiger brüllte hinter ihnen weiter.
     
    Obwohl Chief Superintendent Racer, bildlich gesprochen, in den letzten Zügen lag, weigerte er sich standhaft zu sterben. Jurys Kollegen bei Scotland Yard hatten sich im letzten Jahr ohne Ausnahme auf Racers Pensionierung gefreut. Sie war aber nicht erfolgt; Racer zögerte sie immer wieder hinaus, als wäre sie gleichbedeutend mit dem Ende. In der Gewißheit, sein Ableben stünde bevor, hatten sie sich (natürlich wieder bildlich gesprochen) um seinen Sarg versammelt, bloß um festzustellen, daß die Leiche sich heimlich aus dem Staub gemacht hatte und am Montag in perfekt gebügelten Hosen aus der Savile Row und mit der Miniblume im Knopfloch zu neuem Leben erweckt am Schreibtisch saß.
     
    «– damit nicht genug, oh, nein! Dann, anstatt die ganze Angelegenheit den Jungs aus Stratford zu überlassen, schleppen Sie die ganze Bagage auch noch nach London ein! Warum, Jury? Nach London! Nach London! – »
    «Um ein weiteres Schwein zu schlachten.» Manchmal konnte Jury sich einfach nicht zurückhalten.
    Schweigen. Der Redeschwall war unterbrochen. Wiggins warf Jury einen kurzen Blick zu, starrte dann wieder geradeaus und lutschte verstohlen an seinem Hustenbonbon.
    Racer beugte sich über Jurys Schulter, hauchte ihm den Dunst seiner Brandys mit Soda ins Gesicht und sagte: «Was war das, mein Junge?»
    «Nichts, Sir.»
    Der Redeschwall setzte wieder ein. «Seitdem Sie es zum Superintendent gebracht haben, Jury –»
    Jury wünschte, er hätte den Mund gehalten. Jetzt konnte er sich auf noch schlimmere Beschimpfungen gefaßt machen, denn Racer war bei den Höhen und Tiefen von Jurys Karriere angelangt. « Hinauf habenSie es geschafft, mein Junge. Sie können aber genauso leicht wieder hinunter fallen …»
    Verflucht, auf diese Art würden sie den ganzen Nachmittag hier zubringen.
    Zum Glück wurden sie durch Racers Sekretärin unterbrochen, die hereinkam und einen Stoß Papiere auf seinen Schreibtisch legte. Fiona Clingmore trug etwas, was eigentlich ein Negligé hätte sein sollen, offenbar aber ein Sommerkleid war. Es war schwarz und schien vorne nur aus Rüschen zu bestehen, denen allein es zu verdanken war, daß Fiona nicht alles enthüllte. Die eine Hand auf den Schreibtisch gestützt, die andere in die vorgeschobene Hüfte gestemmt, stand sie vor ihnen, trommelte mit ihren knallroten Fingernägeln und ließ alle in den Genuß eines Blickes in ihr Dekollete kommen. Fiona, das wußte Jury, hatte vor ein paar Jahren die Vierzig überschritten, war

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