Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
Restaurants und Coffeeshops und Cafés, die vermutlich gestern noch nicht da gewesen waren. Noch so eine angesagte neue Gegend.
Die Heilige Erlöserkirche lag mitten zwischen diesen lebhaften kleinen Geschäften. Sie sah auffallend anders aus, eher wie eine Kirche im italienischen Renaissancestil, vermutete er beim Anblick der Giebelfassade, die an eine Basilika erinnerte. Wenigstens hielt er es dafür, wenig bewandert in Architektur, insbesondere Kirchenarchitektur.
Der Stil im Inneren mutete sogar noch italienischer an. Über Jury befand sich ein wunderschönes Deckengewölbe, wie es auf einer der zahlreichen Karten und Abbildungen dargestellt war, die Marshall Trueblood aus Florenz mitgebracht hatte. Melrose Plant zu fragen, hätte keinen Sinn, der brachte immer nur Handschuhe mit. Der schien sich ausschließlich für das Handschuhgeschäft zu interessieren. Jury hielt den Blick nach oben gerichtet. Wie hieß gleich dieser berühmte, hochberühmte, Kuppelbaumeister?
»Brunelleschi«, kam es von einem Gedankenleser dicht neben ihm.
Jury fuhr herum und schaute ins Gesicht des Mannes, der in der Jerusalem Passage an ihm vorbeigegangen war. Zwar hatte er ihn dort nur im Halbdunkel und auch bloß ein paar Sekunden gesehen, doch handelte es sich tatsächlich um denselben Mann, der am Vorabend mit Phyllis zusammengestoßen war.
»Ach ja, Brunelleschis Kuppelbau, jetzt erinnere ich mich wieder.«
»Unsere Kirche ist Santo Spirito in Florenz nachempfunden. Waren Sie schon mal dort?«
Jury lächelte. »Nein, aber Freunde von mir.«
Der Priester sah hinauf. »Es ist eine Kopie. Oder vielleicht sollte ich besser sagen, die Decke dort diente als Vorbild.«
»Dann ist die Heilige Erlöserkirche also Ihre Kirche?«
»Meine? O nein. Ich springe hier bloß für ein paar Monate ein, sozusagen.«
Er schien noch ziemlich jung zu sein. Doch lag dies, vermutete Jury, vielleicht einfach an der Alterslosigkeit des Glaubens oder möglicherweise der Kunst. Oder des Standorts, an dem sie sich befanden und zu der von Brunelleschi inspirierten Decke hochsahen. Jury überkam plötzlich eine bleierne Müdigkeit. Die tiefe Ruhe und Friedlichkeit der Kirche schienen ihn zu umhüllen, die Luft dünner zu werden.
»Ich habe Sie hier noch nie gesehen«, sagte der Priester. »Sind Sie auf Besuch? Auf der Durchreise?«
Jury musste lächeln. »Schön wär’s. Nein, ich wohne in Islington.«
»Ich bin Father Martin. Irgendwie habe ich den Eindruck, Sie sind wegen etwas anderem hier als wegen unserer Kirchendecke.«
»Dann erinnern Sie sich nicht an mich?«
Der Priester musterte ihn fragend. »Nein. Sind wir uns schon einmal begegnet?«
Jury fiel ein, dass er seinen Dienstausweis noch nicht gezeigt hatte, und kramte ihn hervor. »Verzeihung. Ich bin von New Scotland Yard.«
Father Martin wirkte erstaunt, als müsste er scharf überlegen, welches alte Vergehen ihn plötzlich eingeholt hatte.
»Wir sind uns noch nicht richtig begegnet. Sie sind gestern Abend in der Nähe des Zetter mit uns zusammengerempelt. In dem schmalen Durchgang …?«
»Natürlich. Ich glaube, Sie waren dort mit jemandem … mit einer Frau. Tut mir leid. Allerdings glaube ich nicht, dass Sie wegen einer Entschuldigung hergekommen sind.«
»Richtig. Vermutlich wissen Sie, dass im Zetter ein Mann ermordet wurde. Solche Neuigkeiten machen schnell die Runde.«
Father Martins Miene durchlief einige Verwandlungen, keine davon wirkte glücklich und doch keine so unglücklich wie die, die er am Vorabend zur Schau getragen hatte. »Ja, davon haben ich gehört.«
»Er heißt – hieß – Billy Maples. Wissen Sie etwas über ihn?«
Der Priester betrachtete Jurys Gesicht so eingehend, dass diesem unbehaglich wurde. Der durchschaut mich wahrscheinlich total, dachte Jury.
»Ich bin mir nicht sicher, Superintendent. Lassen Sie mich eine Weile darüber nachdenken.«
Er kannte ihn! , dachte Jury, wollte aber nicht drängen.
»Natürlich. Ich komme wieder. Danke, Father. Falls Sie in der Zwischenzeit etwas hören, was in irgendeiner Weise relevant sein könnte, melden Sie sich bitte unverzüglich!« Jury gab ihm seine Karte.
»Ja, natürlich«, sagte der Priester und warf einen Blick darauf. »Das werde ich tun.«
»Den finden Sie in der Küche«, sagte die Sekretärin oder Empfangsdame, so genau konnte er es nicht ausmachen. Jury hatte nach Gilbert Snow verlangt.
»Ich würde ihn eigentlich ungern in der Küche suchen«, meinte Jury, »es wäre mir viel lieber, er
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