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Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Titel: Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matha Grimes
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nichts.«
    Benny zog ein ziemlich mitgenommen aussehendes Kauspielzeug aus der Tasche und bot es Sparky an, der es kurz musterte und dann liegen ließ. Es war, als wüsste Sparky, dass es um gewichtigere Themen ging, als wollte er sich nicht von so etwas Trivialem wie einem Spielzeug ablenken lassen. Der Hund machte sogar einen Schritt zurück, um zwischen sich und das zernagte Strickende Abstand zu schaffen.
    Jury sah ihn an und meinte: »Willst du deine Jobs in Southwark sausen lassen und für Scotland Yard arbeiten?«
    Selbst im Dunkeln merkte Jury, dass der Junge rot anlief.
    »Ah, was Sie da sagen, Mr. Jury.«

12
    Wie Jury es noch in Erinnerung hatte, war der Garten von einer Mauer umgeben und sehr still und abgeschieden.
    Er saß im Neun-Uhr-Achtzehn-Zug nach Rye am Fenster und betrachtete eine Reihe Häuschen mit diesen typischen Darröfen, während der Zug gemächlich durch die Landschaft von Kent rollte. Dabei dachte er an Lamb House.
    Ihm gegenüber saß ein etwa zehn- oder elfjähriger Junge, der tief gerunzelten Stirn nach in schwierige Lektüre vertieft. Den Buchtitel konnte Jury nicht erkennen, ein Schulbuch vielleicht, da es keinen Umschlag trug. Wieso fehlte Schulbüchern eigentlich immer jeder Schwung, jedes Feuer? Der Junge hob den Blick von seinem Buch, das Stirnrunzeln verschwand und machte einem Lächeln Platz, als würde er erkennen, dass sein Gegenüber sich früher auch einmal mit glanz- und freudlosen Büchern hatte herumschlagen müssen.
    Irgendwie erinnerte er Jury an jemanden. Dieses ansprechende Gesicht, helle Augen und bleiche Haut. Kastanienbraunes Haar. Er selbst! Hier hatten sie gewohnt, in Kent oder Sussex, nachdem seine Mutter gestorben war. Onkel und Tante hatten ihn zu sich genommen, zu sich und seiner einzigen Cousine, der alten Nemesis seiner Kindheit, die erst kürzlich gestorben war. Sarah. Im März war sie gestorben.
    Der Zug fuhr in den Bahnhof ein. Beide, er und der Junge, standen auf und stiegen aus.
    Rye lag an dem Küstenstreifen, an den sich westlich Brighton und Hastings und östlich Dover anschlossen. Früher einmal hatte Rye zum Städtebündnis von Cinque Ports gehört. Statt sich immer mehr Land zu holen, hatte das Wasser sich vor Rye zurückgezogen und eine weite Sand-, Schlamm- und Schieferfläche hinterlassen. Der Ort selbst war als eines der reizendsten englischen Dörfer bekannt: Kopfsteinpflaster, gedrungene Häuschen sowie die berühmte Mermaid Street mit der einst von Piraten gern frequentierten Schänke.

    Lamb House befand sich ganz am unteren Ende eines dieser engen kopfsteingepflasterten Sträßchen, ein bescheidener Backsteinbau, der weder erahnen ließ, dass sich dahinter ein wunderschöner Garten verbarg, noch etwas über einen Schriftsteller verriet, der dort gelebt hatte.
    Eine rundliche, recht freundlich wirkende Frau machte ihm auf und ließ ihn ein. Sie führte ihn in einen Salon und empfahl sich dann mit den Worten, Mr. Brunner sei noch am Telefon und käme gleich herüber.
    Nachdem sie gegangen war, schlenderte Jury ins Speisezimmer, wo mehrere Fenster den Blick auf jenen Garten freigaben, an den er sich erinnerte. Er wandte sich wieder dem Buch – nein, Journal – auf dem Esszimmertisch zu, das aufgeschlagen so dalag, dass der James-Pilger darin lesen konnte, was Jury nun auch tat. Was ihn an James’ Schreiben so erstaunte, war die Tatsache, dass es kaum Korrekturen gab. James schrieb in derselben präzisen Sprache, dem gleichen Ton, der gleichen Nuancierung wie in seinen vollendeten Büchern. Lediglich ab und zu waren ein Wort oder Satz ausgestrichen und durch etwas anderes ersetzt worden. Was James als erster Entwurf gedient haben mochte, hätte ein weniger bedeutsamer Autor beglückt als endgültigen Text bezeichnet.
    Der Mann, der während Jurys Lektüre hereinkam, war hochgewachsen und hellhaarig und mit seinem eckigen Kinn und der schmalen Nase recht gut aussehend. Obwohl vermutlich bereits in den Fünfzigern, wirkte er zehn Jahre jünger.
    Jury streckt ihm die Hand hin. »Richard Jury. Wir haben miteinander telefoniert!«
    »Kurt Brunner. Sie sind wegen Billy hier.« Seine Stimme ging plötzlich eine Tonlage höher, als wären sie auf einem Schiff, über das soeben eine Welle brandete.
    »Es tut mir wirklich leid, Mr. Brunner.«
    Der andere fasste sich wieder und führte Jury zurück in den Salon. Der Raum war recht ansehnlich, auch in diesem unbewohnten Zustand. Allerdings handelte es sich bei Lamb House ja sowieso eher um eine Art

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