Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
kleines Museum, zumindest was das Erdgeschoss betraf. Die Bewohner hatten dafür Sorge zu tragen, dass es blitzsauber gehalten wurde und während der meisten Zeit des Jahres auf Besucher eingestellt war. Draußen auf dem Schild waren Mittwoch und Samstag als Besuchertage genannt.
Der Salon machte tatsächlich einen sehr gepflegten Eindruck: die Bücher in den Regalen liebevoll abgestaubt, der Kerzenleuchter auf dem Kaminsims behutsam blank poliert. Auf dem Kristall huschte das Sonnenlicht unsicher hin und her, während sich die beiden Männer in der Ruhe, der fast andächtig anmutenden Stille niederließen.
»Es tut mir sehr leid um Billy Maples. Und ich entschuldige mich, dass Sie nun wieder von der Polizei belästigt werden. Man hat mich gebeten, bei dem Fall auszuhelfen, weil ich einen der Zeugen kenne und auch ein Mitglied der Familie.« Jury machte eine Pause. »Wie ich hörte, waren Sie einige Jahre mit Billy zusammen.«
»Ja, das stimmt.« Brunner wandte sich ab und blickte zum Fenster hinüber, durch das Licht ein- und ausströmte. »Etwa fünf Jahre. In London und auch hier.«
Dass Billy Maples’ Tod Kurt Brunner schwer mitgenommen hatte, stand außer Zweifel. Der Mann wirkte untröstlich und hörte sich auch so an. Doch er bewahrte die Fassung. Von einem deutschen Akzent war kaum etwas übrig. Vielleicht hatte er sich bewusst bemüht, ihn aus seiner Sprache zu tilgen.
»Dann waren Sie also nicht auf dem Anwesen der Familie?«
Brunner schüttelte den Kopf. »Billy machte sich nichts aus dem Haus.«
»Und doch war er dort aufgewachsen. Es war früher einmal sein Zuhause gewesen.«
»Ja, aber er verstand sich nicht besonders gut mit seiner Familie. Er mochte das Haus nicht. Vielleicht hatte er ja deswegen diese starken Stimmungsschwankungen.« Er blickte unsicher.
Jury überlegte. »Sie wissen es aber nicht genau?«
Brunner schüttelte den Kopf.
»Worin bestanden Ihre Aufgaben?«, wollte Jury wissen. »Ich meine, in welcher Eigenschaft arbeiteten Sie für ihn?«
»Er wollte, ein passender Ausdruck fällt mir nicht ein, einen Verwaltungsassistenten. Er brauchte jemanden, der das Geschäftliche regelte.«
»›Das Geschäftliche‹?«
»Er hatte zahlreiche Interessen. Und es kam vor, dass diese miteinander in Konflikt gerieten. Ich meine jetzt, auf einer ganz einfachen Ebene – etwa zeitlich oder terminlich.«
Nach kurzer Überlegung sagte Jury: »Soweit ich gehört habe, war Ihr Arbeitgeber sehr großzügig. Wie kam das?«
Kurt Brunner hob erstaunt die Augenbrauen. »Ich verstehe nicht recht, was Sie damit meinen, Superintendent.«
»Ich eigentlich auch nicht. Er ließ dieser Galerie in Clerkenwell recht stattliche Summen zukommen, schenkte Künstlern eine Menge Geld. Und dann ist ja dieser« – Jury sah zur Decke hoch – »Hang zur Literatur. Es ging ihm nicht einfach um irgendeinen Schriftsteller, sondern um keinen Geringeren als Henry James.« Jury überlegte. »Ich habe zwar nicht viel von ihm gelesen, doch sein Werk hat etwas so … Hermetisches. Wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will.«
»James hatte ein sehr bewegtes gesellschaftliches Leben. War weit gereist, ein weltgewandter, kluger Mann. Er war kein Einsiedler, wenn Sie das damit sagen wollen.«
»Das habe ich gehört, aber … kann man das nicht alles tun und trotzdem, nun ja, abgeschottet von der Welt leben?«
Brunners Gesichtsausdruck wurde ernst. »Sie glauben, dass Billy so eine Art von Leben führte?«
»Keine Ahnung, ich bringe das lediglich aufs Tapet.« Jury musste an Father Martin und die Heilige Erlöserkirche denken. »Hatte er eine religiöse Ader? War er vielleicht ein Erretteter?«
Kurt Brunner sah ihn verständnislos an. »Wovor?«
»Wie soll ich das wissen?« Jury lächelte. »Ich nehme an, vor seinen früheren Verfehlungen.« Womöglich hatte er Kurt Brunner jetzt beleidigt, dachte Jury. Schnell brachte er das Thema wieder auf eine etwas unverfänglichere Ebene. »Sie kümmerten sich also um seine Finanzen, führten seinen Terminkalender und waren sein Freund?«
»So würde ich das gern sehen, ich meine, dass ich sein Freund war.«
»Sie haben über seine Ermordung bestimmt sehr viel nachgedacht.«
Brunner nickte. »O ja, sehr. Und ich habe keine Ahnung, warum es passiert ist.«
»Hatte er Feinde?«
»Feinde …« Brunner runzelte nachdenklich die Stirn, als wäre dieses Wort kaum mit seinem toten Freund in Verbindung zu bringen. »Davon ist mir nichts bekannt.«
Den Kopf in die Handfläche
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