Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
malte seinem Eremiten einen Stecken in die Hand und legte auf.
15
Statt schlicht zuzufallen, schienen sich Kirchentüren immer mit einem dumpfen Schlag zu schließen. Da er so selten in Kirchen ging, hörte Jury auch den dumpfen Ton selten. Und wenn es sich einmal traf, war ihm eine Kirche auf dem Land lieber, die für gewöhnlich leer war und einem den Eindruck vermittelte, man befinde sich in einem Sanktuarium. Kirchen waren heutzutage ebenso wenig Sanktuarien wie Pubs oder Bahnhöfe. Sie waren lediglich stiller.
Er war zwischen den Reihen von Kirchenbänken auf der linken Seite eine Weile umhergelaufen und war nun in den Anblick der kleinen Kapelle versunken, in der eine Marienstatue stand. Diese Kapellen wirkten sogar noch ruhiger als der Rest der Kirche. Er überlegte, ob sich an manchen Orten die Stille sammelte: in einem tiefen Winterwald, einem Dock, wo ein Boot im reglosen Wasser vertäut lag, einem verlassenen Bauernhof.
Die ganze Welt war gegen Stille eingestellt, was diese nur noch erholsamer und kostbarer machte, wenn man ihr einmal begegnete. Er stand in Betrachtung von Maria versunken und dachte an den Priester. Father Martin, mochte er wetten, war mit jemandem zusammen gewesen, mit dem er nicht hätte zusammen sein dürfen, oder hatte sich an einem Ort aufgehalten, wo er nicht hätte sein dürfen. Dass dies jedoch irgendetwas mit dem Mord zu tun hatte, war fraglich. Es bestand überhaupt kein Grund, die beiden Dinge miteinander in Verbindung zu bringen, außer über die höchst dürftige Schiene mit Billy Maples. Keiner.
Er konnte nicht sagen, wie lange er dort gestanden und die Marienfigur betrachtet hatte, als ihn eine Stimme hinter ihm zusammenzucken ließ.
»Superintendent.«
Jury drehte sich um und lächelte Father Martin an, der tatsächlich sehr gut aussah. Allerdings dachte Jury, wenn er selbst diese schwarzen Sachen und den leuchtend weißen Kragen trüge, würde er auch gut aussehen. Dieser Kleidung haftete zweifelsohne eine gewisse Spiritualität an. Wieso hegte er Zweifel an dem, was dieser Mann ihm gesagt – oder nicht gesagt – hatte?
»Father Martin«, sagte Jury. Als er sich von der Kapelle abwandte, spürte er eine Leere, spürte den schieren, unaufhaltsamen Fall aus schwindelerregender Höhe.
»Wollen wir uns einen Augenblick setzen?« Father Martin nahm einen der kleinen Stühle in der Kapelle und bedeutete Jury, es ihm nachzutun. »Wie kommen denn Ihre Ermittlungen voran?«
»Nicht sehr zügig, muss ich sagen.«
»Es ist aber doch – was? – erst vor zwei Tagen passiert«, meinte der Priester.
»In dem Zeitraum hatte Gott fast die halbe Welt unter Dach und Fach gebracht.«
Father Martin musste lachen. Es tönte erstaunlich laut, die Akustik hier musste höllisch gut sein.
»Das sagt mir aber nur«, fuhr Jury fort, »dass ich nicht Gott bin.«
»Er verfügt aber auch nicht über Ihr Spurensicherungsteam.«
»Braucht er gar nicht.«
Father Martin lächelte. »Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Sie erinnern sich, Sie sagten, Sie wollten ein wenig über Billy Maples nachdenken. Haben Sie das getan?«
Jetzt sah der Priester aus wie einer dieser attraktiven, blassen Burschen, die man mit anderen über das Gelände einer Privatschule gehen sieht, auf dem Weg zur Morgenandacht oder zum Abendgottesdienst, ins Gespräch vertieft oder gar herumalbernd.
Momentan war dieses Jungengesicht im flackernden Kerzenlicht aber voller Schatten.
Father Martin lehnte sich zurück. »Ich bin ihm zwei oder drei Mal begegnet. Das erste Mal während eines Abendgottesdienstes. Das nächste Mal zur Beichte. Das war auch der Grund, weshalb ich Ihnen sagte, ich müsste erst noch darüber nachdenken, verstehen Sie?«
Jury verstand es nicht. »Heißt das, im Beichtstuhl?«
Der Priester nickte. »Er kam in die Kirche. Als ich aus der Sakristei herüberkam, saß er in einer der vorderen Kirchenbänke. Er trat auf mich zu und fragte, ob ich ihm die Beichte abnehmen würde. Es war zwar nicht zur Beichtstunde, doch er schien so bekümmert, dass ich mich natürlich bereit erklärte.«
Jury wartete ab. »Und jetzt sagen Sie, Sie können den Inhalt nicht preisgeben.«
Ein Anflug von Lächeln. »Ich glaube, nein.«
»Obwohl er ermordet wurde.«
Father Martin senkte den Blick zu Boden. »Trotzdem – ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dieser Tatsache und seiner Beichte.«
Dumm oder hinterhältig war dieser Mensch aber doch wohl nicht. »Den sollen Sie auch gar nicht sehen, Father, sondern
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