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Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Titel: Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matha Grimes
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und ein ziemlich gutes Restaurant, war einst ein raubauziges, ausgelassen lärmendes Piratenstammlokal gewesen. Hatte es da nicht diese berühmte Bande gegeben – Hawkhurst? Hawksmoor? Nein, so hieß der Architekt. Die Bande hatte sich damals im Mermaid verschanzt gehabt. Das ganze Städtchen, die gesamte Küste hier in der Gegend war ein einziges Schmugglernest gewesen.
    Melrose überlegte, ob Henry James sich wohl von Ryes Piratenvergangenheit angezogen gefühlt hatte. Vermutlich. Einige seiner raffinierteren Protagonisten waren jedenfalls in emotionaler Hinsicht Beutegänger, so viel war sicher. Man sehe sich nur Gilbert Osmond an: oberflächlich betrachtet, ein feinsinniger, weltgewandter Sammler von Kunstgegenständen. Und von Menschen, von Seelen. Es war diese Feinsinnigkeit, die Vornehmheit, die perfekte Berechnung und das fein ausgewogene Verhalten, das sein Treiben so abscheulich machte.
    In den vergangenen paar Tagen hatte Melrose recht viel von Henry James gelesen. In seiner Manteltasche befand sich nun, als Begleiter fürs Abendessen, die Erzählung »Asperns Nachlass«. Apropos Beutegänger ! Apropos Verderbtheit! Er schlug sich mit der Faust in die Hand. Es passte einfach perfekt !
    »Wie bitte?«
    Dicht neben ihm eine Stimme. Melrose hatte den Mann offenbar angerempelt.
    »Sie sagten gerade etwas?«
    »Oh, tut mir schrecklich leid. Ich habe wohl mit mir selbst gesprochen.«
    »Und ordentlich was ausgeplaudert«, kam lächelnd die Antwort.
    Melrose lachte und schlug in unerklärlicher plötzlicher Verlegenheit den Mantelkragen hoch.
    Da die Mermaid Tavern hoffnungslos überfüllt war und in der nächsten halben Stunde keine Aussicht auf einen freien Tisch bestand, entschied Melrose sich für ein anderes, weit weniger bekanntes Speiselokal. Dort bestand das Interieur aus reichlich dunklem Holz, sanfter Beleuchtung und dem behaglichen Geräusch von klapperndem Besteck auf Porzellan.
    Ein Tisch wurde ihm zugewiesen von einer Empfangsdame zweifelhafter Provenienz, deren Akzent irgendwo zwischen St. Germain-des-Prés und Bermondsey zu schweben schien. Sie reichte ihm eine Speisekarte und huschte davon. Es gab nur wenige andere Essensgäste und eine größtenteils von Wunschdenken und einer riesigen Tiefkühltruhe geprägte Speisekarte. (Hatten die hier wirklich genügend Köche, um den Hummer gedämpft, gegrillt, mit Scampi oder à la Thermidor zubereiten zu können, oder ein Pollo rostizado estilo Yucatán oder auch nur das weit prosaischere Boeuf Burgundy ?) Diese Karte war ein Ausbund an Optimismus. Er war überrascht, dass nicht auch noch Pfau-Scaloppine und Ragout aus scheckigem Ozelot angeboten wurden.
    Er konnte es kaum erwarten, die Weinkarte zu Gesicht zu bekommen!
    Und da wurde sie ihm auch schon von den Händen der Empfangsdame gereicht, bevor diese flugs das andere Tischgedeck entfernte.
    Die carte de vin entsprach in etwa der Speisekarte. Das Angebot umspannte bestimmt ein halbes Dutzend Seiten und rangierte vom simplen Hauswein (mit fünf Pfund die Karaffe auch schön billig) bis zu einem Vosne-Romanée zu einem Preis, mit dem man die Winterresidenz der Königlichen Familie hätte erwerben können.
    Gütiger Himmel! Und das in Rye! In East Sussex! Nicht etwa an der Place Vendôme! Nicht im Ritz! Diese Weinkarte könnten sie selbst in Mayfair kaum schlagen.
    Als die Bedienung kam, eine stämmige, germanisch aussehende Blondine, aber mit einem strahlenden Lächeln, bestellte er sich das komplizierteste Gericht auf der Karte, auf das er mit dem Finger deuten musste, da er es nicht aussprechen konnte. Er wusste bloß, dass es etwas mit poisson zu tun hatte und die Zubereitung an Tommy Tunes aufwändige Musical-Inszenierungen erinnerte.
    »Nehmen Sie auch Wein, Sir?«
    »Aber natürlich! Ich nehme den Vosne-Romanée.«
    Als ob sie diesen Wein als Mundspülung benutzte, zuckte sie nicht mit der Wimper, drehte sich schwungvoll auf dem Absatz um und marschierte davon, vermutlich um ihn zu holen. Melrose wünschte bloß, Henry James wäre hier. Was er wohl von dieser Pinte halten würde?
    Der Wunsch war Vater des Gedankens, denn Henry nahm ihm gegenüber Platz und beantwortete gleich die Frage: Nun, das ist ja alles perfekt für Sie, mein lieber Freund, ich dagegen bin ein Mann mit einfacherem Geschmack. Eine gute Salzkartoffel und ein Kotelett, mehr verlange ich gar nicht. Sie erinnern sich – da ist eines in Ihrem Ofenrohr. Bei diesen Worten benutzte er ein kleines Instrument, um an seiner Zigarre

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