Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
abgesehen von dem stechenden Blick, den sie Brunner zuwarf. Was war das nur in diesem scharfen Blick?
»Oh, Verzeihung.« Brunner fuhr erschrocken hoch.
Melrose winkte beschwichtigend ab. »Danke, Mrs. Jessup. Vielleicht könnten wir ihn aber jetzt bekommen? Nehmen Sie Tee, Mr. Brunner?«
»Ja, ich hätte gern eine Tasse.«
»Also, dann hole ich ihn.« Sie ging zurück in die Küche.
»Ist die Polizei denn schon vorangekommen?«
Brunner deutete ein Lächeln an. »Da wissen Sie womöglich mehr als ich, wenn man bedenkt …«
War es ein verschlagenes Lächeln gewesen? »Ach, Sie meinen von Mr. Jury.« Melrose lachte gekünstelt. »Der zieht mich doch nicht ins Vertrauen.«
»Soweit ich weiß, wurde noch niemand verhaftet.«
»Nein.« Melrose machte eine Pause, um zu überlegen, wie er am besten vorgehen sollte. »Sie sagten, Sie waren Billys – Billy Maples’ – Assistent? Ich bin nicht sicher – was genau gehörte zu dieser Aufgabe?«
Brunner nickte. »Es ging nicht darum, sich Briefe diktieren zu lassen, nein. Ein bisschen von allem. Ihn über seine Angelegenheiten auf dem Laufenden zu halten.«
»Sie meinen Termine und Verbindlichkeiten? Geldangelegenheiten? Rechnungen und das alles?«
»Ja, ich glaube aber nicht, dass das die gleiche Wichtigkeit hatte wie –« Er wirkte angestrengt, als erforderte die Formulierung einer Antwort hohe Konzentration. »Sagen wir, als Berater.«
Dieser ziemlich unergründlichen Feststellung auf dem Fuß folgte Mrs. Jessup, die mit dem Teetablett hereinkam, das sie auf den Tisch zwischen die beiden stellte. Und zwar ziemlich ruppig, fand Melrose. Schnell verschwand sie wieder.
Brunner redete weiter. »Ich gehöre nicht zu Mrs. Jessups Lieblingen«, sagte er, das Milchkännchen hochhebend. »Milch? Zucker?« Er war es offensichtlich gewohnt, den Gastgeber zu spielen.
»Beides. Ein Stückchen Zucker. Woher kommt das? Ich meine, dass sie Sie nicht leiden mag.«
Brunner zuckte die Achseln. »Ich bin mir nicht sicher. Eifersucht vielleicht. Sie betrachtet Lamb House womöglich als ihr eigenes kleines Reich. Da war ich im Weg. Und dass ich Deutscher bin, macht die Sache auch nicht einfacher.« Er rührte in seiner Tasse.
Melrose ließ sich dies durch den Kopf gehen. »Sie meinen, sie hat immer noch diese festgefahrene Meinung über den Krieg?«
»Ganz bestimmt. Manche Leute haben den Krieg nie überwunden. Die Kriege, sollte ich sagen.«
»Trotzdem, sie hat doch etwas Mütterliches. Und Ihr Arbeitgeber war jung und« – er sprach es aus – »ungebunden.«
Daraufhin warf Kurt Brunner ihm einen seltsamen Blick zu. Vermutlich fragte er sich, ob Melrose von ihm etwas Vertrauliches wissen wollte – jetzt, da der Vertraute tot war. Oder vielleicht gerade weil er tot war.
Eigentlich wollte Melrose den Gesprächsfaden weiterverfolgen, doch musste Brunner mittlerweile aufgegangen sein, wieso sich die Unterhaltung ziemlich weit von Rye und Lamb House wegbewegt hatte, und so sagte Melrose bloß: »Hört sich an wie ein anständiger Kerl.«
»Das war er auch, sehr.«
»Interessant, dass er sich hier in Rye niederließ.«
»Ich glaube nicht, dass er vorhatte, länger als ein Jahr zu bleiben. Er war ein großer Anhänger von Henry James, das weiß ich. Bin ich auch.«
»Ah! Was mich betrifft, so betreibe ich Forschungen. Ich schreibe ein Buch über James. Über die mittleren Lebensjahre.« Gott, wie dumm von ihm! Er konnte die mittleren Jahre nicht mal von den frühen Jahren und die letzten Jahre nicht vom Leben nach dem Tod unterscheiden. Er wusste lediglich, dass James seine drei kompliziertesten Romane in den späteren Lebensjahren geschrieben hatte.
»Ach? Ich dachte, eine Monografie.«
Na, bitte! Da unterhielten sie sich jetzt gerade einmal eine Viertelstunde, und er hatte die Sache bereits verpatzt. »Ach, das wird dort alles mit abgehandelt.«
»Die mittleren Jahre.« Kurt Brunner schien sich eine passende Bemerkung zu überlegen. Er fragte: »Was ist für Sie das Charakteristische an dieser Periode? Damit wären ja nicht die drei großen Romane gemeint. Die kamen später.«
»Sie haben recht.« Melrose legte die Fingerspitzen aneinander und verwünschte sich, während er sein Gedächtnis nach irgendeiner Erinnerung an James’ Werk in dieser Periode durchforstete.
Da kam Brunner ihm mit dem Ausruf zu Hilfe: » Guy Domville! Das ist es! Dieses entsetzliche Debakel, nicht?«
Melrose dankte ihm im Stillen, dass er das Werk genannt hatte. Das Theaterstück kannte
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