Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
ich, nach ihm zu suchen? Etwas über die ganze Sache herauszufinden?«
»Natürlich kam mir der Gedanke. Ich fand aber nichts. Das Problem war, wie Sie sich vielleicht denken können, dass so viele Papiere verloren gegangen waren, so viele Dokumente. Ich versuchte es an seiner Schule. Er war ja sechs Jahre älter als ich. Die Schule war bombardiert worden, war während des Krieges zerstört worden. Und damit auch alle offiziellen Papiere, Geburts- und Todesurkunden – all das.«
Es war immer praktisch, sich auf fehlende Dokumente zu berufen, wenn man nichts mit der Vergangenheit zu tun haben oder unangenehme oder belastende Dinge von sich weisen wollte. Man konnte Unwissenheit vorschützen, und keiner würde einen als Lügner bezeichnen.
Außer jemand wie Oswald Maples.
»Woher dieses Interesse an meinem Bruder, Superintendent? Haben Sie etwas herausbekommen, wovon ich nichts weiß?«
Jury deutete ein Lächeln an. »Das will ich meinen, besonders weil Sie ja anscheinend überhaupt nichts wissen.«
Brunners Miene veränderte sich. Zwei Paare gingen vorbei, steuerten zum frühen Abendessen auf den Speisesaal zu. Er beugte sich vor. »Wieso so sarkastisch, Superintendent? Ich habe die gleichen Fragen schon mehrmals beantwortet. Ich habe versucht zu kooperieren.«
Jury kaute auf seiner Lippe herum, während er Brunner genau beobachtete. »Das glaube ich nicht.«
»Wie bitte?«
»Ich glaube, Sie verschweigen uns eine ganze Menge. Zum Beispiel: Die Schule lag ja vielleicht in Trümmern, es gab aber doch Dokumente, die gerettet wurden.«
»Wie sind Sie zu dieser Erkenntnis gelangt?«
»Über die ziemlich sorgfältige Suche durch Stellen mit viel diesbezüglicher Erfahrung.«
Brunner runzelte die Stirn. »Und was hat man über Josef herausgefunden?«
Jury blieb die Antwort schuldig. »Wo werden Sie in London wohnen?«
»In der Wohnung in Chelsea.«
»Die Sie mit Maples teilten.«
»Ja. Es ist eine große Wohnung. Billy hatte uns beide als Eigentümer eintragen lassen.«
»Das war sehr anständig von ihm.«
»So war er.« Brunner lächelte erschöpft. »Sie wollen doch nicht andeuten, ich hätte ihn wegen einer Immobilie getötet?«
So wie er es sagte, hörte es sich absurd an.
»Glauben Sie, wir waren Partner? Schwul?«
»Nein, das wollte ich damit …«
»Andere offenbar schon.«
»Ich habe die Wohnung gesehen. Ziemlich geräumig.«
Kurt sah ihn fragend an. »Hatten Sie einen Durchsuchungsbefehl?«
Jury lächelte. »Sie hören sich an wie mein Chef. Ja, wir hatten einen.«
Brunner fuhr mit der Schuhspitze ein Muster auf dem Orientteppich nach. »Hoffentlich waren Sie vorsichtig.«
»Die Polizei ist gewöhnlich ziemlich vorsichtig.«
Kurt Brunner sagte nichts.
Jury meinte: »Sie sagten uns, Sie waren in Deutschland, als –«
»In Berlin.« Brunner wirkte bekümmert. »Ich kam an dem Tag zurück, das heißt, an dem Nachmittag. Wenn ich nicht weggefahren wäre, hätte womöglich … ach, darüber werde ich wohl nicht so leicht hinwegkommen.«
»Nein, vermutlich nicht. Das ist wohl mit am schwersten zu akzeptieren: dass man nicht da war, dass man es vielleicht hätte verhindern können. Obwohl Sie das nicht hätten können.«
Sie saßen eine Weile schweigend da.
»Wie lange waren Sie in Berlin?«, fragte Jury dann.
»Fünf oder sechs Tage. Sechs.«
Jury zückte sein Notizbuch. Er notierte sich etwas. »Haben Sie zufällig Ihren Pass bei sich?«
Kurt Brunner warf Jury einen argwöhnischen Blick zu. »Warum?«
»Ich würde ihn gern sehen.«
Brunner runzelte die Stirn. »Das ist keine richtige Antwort.«
»Ich weiß.«
»Nicht dabei, der ist in der Sloane Street. Ich war zuerst dort, um ein paar Sachen hinzubringen.«
»Warum sind Sie nicht direkt hierhergekommen? Ich meine, der Eurotunnel liegt doch viel näher an Rye als an London …?« Er ließ die Frage in der Luft hängen.
Vornübergebeugt, die Unterarme auf die Knie gestützt, hielt Brunner die Hände aneinander, die Zeigefinger ausgestreckt.
Jury musterte ihn schweigend. Dann sagte er: »Ich glaube, Sie wissen mehr über Ihre Vergangenheit, als Sie uns sagen, Mr. Brunner.«
»Was hat meine Vergangenheit damit zu tun?«
»Vielleicht eine ganze Menge.«
»Was weiß ich denn, was ich Ihnen nicht sage?«
»Nun, ich glaube, Sie erinnern sich doch noch, was mit Ihrem Bruder passiert ist. Damit meine ich, was genau passiert ist, nicht irgendein vager Bericht, dass er irgendwie im Zweiten Weltkrieg erschossen wurde.«
»Was wollen
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