Inspektor Jury schläft außer Haus
alles sehr viel schneller abwickeln. Obwohl ich zugeben muß, daß ich auch gern wüßte, was hier vor sich geht.»
«Ihr braucht das nicht zu wissen», sagte Melrose. «Ihr spielt einfach eure Rolle. Sie müssen uns einen Augenblick entschuldigen, Inspektor, die Generalprobe.»
Ruthven führte Jury so gebieterisch aus dem Raum, daß er das Gefühl hatte, abgeführt zu werden. In der Halle blieb ihm nichts anderes übrig, als sich die Lanzen und Speere anzuschauen. Ein paar Minuten später sah er eine Frau, von der er annahm, daß sie Martha, Ruthvens Frau war, durch die Halle laufen und einen kurzen Knicks machen. Und nach weiteren fünf Minuten öffnete Plant die Tür und bat ihn herein.
Plant holte einen Stuhl für Jury, den er ungefähr zehn Meter vor dem verhängten Nebenraum aufstellte.
«Inspektor Jury, wir werden Ihnen eine Szene – oder den Teil einer Szene – aus Othello zeigen. Die Rolle des Othello spiele ich, Martha spielt Emilia und Vivian Desdemona. Geht das in Ordnung, weiß jeder, was er zu tun hat?»
Agatha meinte grimmig: «Ihr habt wenigstens alle eine Rolle. Während ich nur –»
«Taten, keine Worte!» sagte Melrose.
«Ich verstehe trotzdem nicht, warum ich nicht Desdemona sein kann, schließlich hat Vivian –»
«Großer Gott! Wir sind nicht die Royal Shakespeare Company, wir spielen doch nur dem Inspektor eine Szene vor. Er muß es sehen. Geh also hinter den Vorhang und tu, was man dir sagt!»
Verdrossen verschwand sie. «Keinen einzigen Satz darf ich sagen.»
«Wenn du einen hättest, würdest du den ganzen Nachmittag nur diesen einen Satz wiederholen.»
Agatha schnitt ihm hinter seinem Rücken eine Grimasse und ließ den Vorhang vor sich herunterfallen.
Melrose wandte sich an Martha, die Köchin: «Also, Martha, Sie brauchen nur die paar Zeilen, die ich Ihnen herausgeschrieben habe, abzulesen. Wie es klingt, ist völlig gleichgültig.» Martha wurde puterrot. Anscheinend betrachtete sie es als ihr Bühnendebut.
«Tut so, als wäre das –» Melrose stand vor dem Vorhang und machte eine ausholende Handbewegung – «die Bühne. In der durch den Vorhang abgetrennten Nische befindet sich Desdemonas Bett. Othello ist schon seit einiger Zeit mit Desdemona auf der Bühne. Es dreht sich um das Taschentuch und um Jago. Vivian – ich meine, Desdemona – liegt auf dem Bett.»
Vivian nahm ihren Platz ein; ungeschickt streckte sie sich zwischen den Kissen und Decken aus und sagte: «Töte mich morgen; laß mich heut noch leben!»
«Die Regieanweisung lautet: ‹Er erstickt sie.›» Melrose nahm ein Kissen vom Bett und hielt es vor Vivians Gesicht. Dann wandte er sich ab, ließ das Kissen fallen und zog den Vorhang zu. Martha, die links vorne stand und alles genau verfolgt hatte, näherte sich und tat so, als würde sie gegen eine unsichtbare Tür hämmern.
Hinter dem Vorhang hörte man das Rascheln von Stoff und ein Stöhnen: «O Herr! Herr! Herr!» Martha hämmerte immer noch mit beiden Fäusten gegen die Tür aus Luft. Melrose bemühte sich, sehr auffällig von Martha zu dem Bett zu blicken und rezitierte: «Nicht tot? Noch nicht ganz tot?» Er ging zu dem Vorhang und zog ihn auf. Desdemona lag halb verdeckt zwischen den zerwühlten Decken und Kissen auf dem Bett. Melrose stand vor ihr, hob das Kissen in die Höhe und ließ dann die Arme wieder fallen. Dabei sagte er: «Nicht möcht’ ich dir verlängern deine Qual.» Wieder waren ein wildes Umsichschlagen und ein Stöhnen zu vernehmen.
Martha – Emilia – hämmerte währenddessen unermüdlich mit erhobenen Fäusten gegen die nicht vorhandene Tür. Melrose, der sich über die unglückselige Desdemona gebeugt hatte, richtete sich auf und zog den Bettvorhang wieder zu. Er ging zu der imaginären Tür, tat so, als würde er sie öffnen, und Martha trat herein, steif ihren Text ablesend: «Ich bitt Euch dringend, gönnt mir nur ein Wort, o bester Herr!»
Plant legte ihr die Hand auf den Arm. «Das reicht, Martha, wir haben bewiesen, was wir beweisen wollten. Jetzt, Inspektor würde eine kleine Änderung im Text erfolgen. Emilia geht zu dem Bett, und Desdemona müßte sagen: Empfiehlt mich meinem güt’gen Herrn – Leb wohl! – worauf sie stirbt. Diesen Satz müßten wir jedoch weglassen, weil nämlich Desdemona» – und Melrose zog den Bettvorhang zurück – «bereits tot ist.»
Agatha richtete sich auf und rieb sich den Hals. «Du hast das absichtlich getan, Plant; du hast mich beinah umgebracht, du Grobian –»
Vivian
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