Inspektor Jury schläft außer Haus
dann findet er heraus, daß mehr als eine Person Bescheid weiß. Vielleicht hatte Ruby ihren Onkel Will eingeweiht, weil sie von ihm einen Rat haben wollte. Und Will hatte dann seinem alten Freund Ansy-Hansi die Geschichte erzählt. Wer von beiden Creed gekannt hat, läßt sich nicht entscheiden. Jedenfalls war auch noch ein Polizist mit von der Partie, falls Matchett Schwierigkeiten machen sollte. Man braucht nicht viel Phantasie: Für ihn war das so was wie ein verhängnisvolles Dominospiel. Zuerst entdeckte er, daß Ruby mit ihrem Onkel darüber gesprochen hat, dann läßt ihr Onkel durchblicken, daß er es Hainsley erzählt und vielleicht auch noch Creed eingeweiht hat. Matchett mußte also auf irgendeine Weise Creed und Hainsley hierherlocken. Es war ein Wettlauf mit der Zeit; außerdem konnte er das Dorf nicht verlassen. Für ihn als Schauspieler war es bestimmt ganz einfach gewesen, Smolletts Stimme nachzuahmen und sie hierherzubestellen. Das erklärt vielleicht auch, warum diese Morde so öffentlich waren. Es ist schon schwer genug, sich eine Leiche vom Hals zu schaffen, ganz zu schweigen von vier. Er konnte ja schlecht mit einer Schaufel die Dorfstraße von Long Piddleton entlanggehen, um seine Leichen zu begraben. Er tut also genau das Gegenteil – er stellt sie zur Schau, tolldreist wie er ist – und rechnet damit, daß die Leute auf einen Irren tippen werden.»
«Denken Sie, Ruby hat Matchett in eigener Regie erpreßt?»
«Sexuell wahrscheinlich. Vielleicht dachte sie, sie könne ihn zwingen, sie zu heiraten. Schließlich hatte sie die ganzen Männer hier durchprobiert, und Matchett war bestimmt der attraktivste. Wohin ist sie denn gefahren, wenn nicht zu einem Rendezvous, das dumme Ding. Aber sie hat zumindest das Armband dagelassen. Und irgendwo, verflucht noch mal, auch dieses Tagebuch!»
«Aber wenn sie geplant hatten, Matchett zu erpressen – ich meine Small und seine Freunde –, mußten sie bei ihm auch flüssiges Geld vermuten – oh, wie dumm von mir, da ist ja Vivian Rivington. Matchett hätte sie aber heiraten müssen, um an das Geld ranzukommen, vergessen Sie das nicht.»
«Matchett könnte Ruby erzählt haben, daß er sich Vivian schon wieder vom Hals schaffen würde, wenn er erst das Geld hätte, und dann frei wäre, Ruby zu heiraten. Ich bin sicher, Matchett kann jede Frau überzeugen, egal von was. Wie zum Beispiel –» Jury hielt inne.
«Wen?»
«Zum Beispiel Isabel Rivington.»
Plant schwieg einen Augenblick lang. «Wie meinen Sie das?»
«Haben Sie sich nicht auch schon gefragt, warum Isabel Vivian mit Matchett verkuppeln will, wo sie doch selbst so vernarrt in ihn ist? Außerdem würde sie auch noch die Vollmacht über das Geld verlieren!»
«Wollen Sie damit sagen, Simon und Isabel hätten eine Art Arrangement getroffen? Eines wie Simon und Ruby vielleicht?»
«Ja, natürlich. Ich bezweifle zwar, daß wir jemals Licht in diese Sache bringen werden, aber ich habe das immer vermutet.»
Melrose starrte Jury an. «Und was denken Sie, ist mit Harriet Gethvyn-Owen passiert?»
Jury dachte einen Augenblick nach und meinte dann: «Ich frage mich vor allem, was mit Vivian Rivington passiert wäre.»
Sie tranken ihren Whiskey-Soda, schauten sich an und sahen dann ins Feuer.
XIX
Jury näherte sich langsam der Dorfstraße; er fuhr aber nicht in die Richtung der Pandorabüchse, da er das lästige, wenn auch unvermeidliche Treffen mit Kriminaldirektor Racer solange wie möglich hinausschieben wollte. Vielleicht konnte er bei der Hammerschmiede haltmachen und Mrs. Scroggs bitten, ihm ein Essen aufzutischen.
Als er die Zufahrt zur Kirche sah, bog er ab und parkte den Wagen. Die Kirche war ein Ort, an dem der Kriminaldirektor wohl kaum herumschnüffeln würde, und Jury brauchte etwas Zeit zum Nachdenken.
Die St.-Rules-Kirche war immer noch so feucht und kalt wie am frühen Morgen und würde auch bald wieder so dunkel sein. Von einer der hinteren Reihen aus konnte er zuschauen, wie das abendliche Dämmerlicht aus den Seitenschiffen und Nischen wich. Er hatte es sich auf der harten Bank bequem gemacht und blickte sich um – auf die Streben, die Bossen, den «Dreidecker» und das kleine schwarze Brett mit den Nummern der Lieder, die von der Gemeinde gesungen worden wären, wenn der Gottesdienst stattgefunden hätte. Die dünnen Gesangbücher standen auf einem schmalen Brett, das an der Rückseite der Bänke angebracht war. Jury nahm sich eines, schlug die Nummer 136 auf und begann
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