Inspektor Jury schläft außer Haus
war unterdessen durch die Flügeltür von draußen hereingekommen, vor Kälte zitternd. «Du lieber Himmel, Melrose. Wenn ich noch mal die Desdemona spielen soll, dann möchte ich einen Mantel haben. Ich bin beinahe erfroren.»
Einen Augenblick lang war Jury sprachlos. Ein Austausch. Sie waren ausgetauscht worden – die betäubte Celia Matchett war anstelle von Harriet Gethvyn-Owen in das Bett gelegt worden. Jury applaudierte.
Melrose verbeugte sich und sagte: «Das war’s, meine Damen. Ich danke Ihnen.»
Agatha, die von dem Bett geklettert war und ihren Rock glattstrich, starrte ihn ungläubig an. «Das war’s? Das war wirklich alles ? Du läßt uns hierherkommen, läßt uns diese lächerliche Scharade aufführen, und dann hältst du es nicht einmal für nötig, auch nur die geringste Erklärung abzugeben? Idiot!»
Selbst Vivian schien etwas pikiert. «Ja, wirklich, Melrose. Was soll das alles?»
Eine gute Frage, dachte Jury. Sie wußte es zwar nicht, aber Melrose Plant hatte ihr möglicherweise gerade das Leben gerettet.
Nachdem Plant die beiden losgeworden war, ließ er sich mit Jury am Kamin nieder; neben ihnen standen eine Flasche Whiskey und Sandwiches oder vielmehr das, was Martha nach ihrem Bühnendebut noch zustande gebracht hatte.
«Die paar Worte, die sie ihrer Haushälterin über die Schulter hinweg zugeworfen hat, erforderten keine große schauspielerische Begabung», sagte Jury.
«Nein. Und ich nehme an, sie trug Celia Matchetts Kleider unter ihrem Kostüm und Celias Frisur unter ihrer Perücke. Wahrscheinlich hat Harriet Gethvyn-Owen auch darauf geachtet, daß das Zimmer nur schwach beleuchtet war. Irgendwie mußten sie es bewerkstelligen, daß jemand ‹Celia› sah, während das Stück schon im Gang war. In Wirklichkeit lag sie aber bereits tot auf der Bühne.» Plant zündete sich eine Zigarre an.
«Auf der Bühne. Großer Gott, wie kaltblütig – sie vor den Augen der Zuschauer zu ersticken.»
«Meinen Sie, daß sie betäubt war?» fragte Plant. «Und dann von Matchett hinter den Vorhang geschleppt wurde? Das Bett hatte auch auf der andern Seite einen Vorhang. Durch ihn wurde Celia zuerst rein- und dann rausbugsiert. Als ich ihn zuzog, stand Vivian (das heißt Harriet) von ihrem Bett auf und ging durch die Flügeltür nach draußen; an ihrer Stelle legte sich dann Agatha ins Bett. Harriet hatte natürlich Celia, die dasselbe Kostüm wie sie trug, hochheben müssen. Aber aus der Entfernung bei all den zerwühlten Kissen und Decken und da Othello auch noch die Sicht versperrte, kam wohl keiner der Zuschauer auf den Gedanken, daß zwei Desdemonas im Bett liegen könnten.»
«Die Gethvyn-Owen geht dann die paar Schritte zu Celias Büro, legt ihr Kostüm und ihre Perücke ab und setzt sich an den Schreibtisch», sagte Jury. «Als nächste kommt Daisy, und sie nimmt natürlich ganz selbstverständlich an, daß die Frau am Schreibtisch Celia Matchett ist. Danach muß Harriet wieder auf die Bühne zurück und die inzwischen tote Celia in ihr Büro bringen. Mrs. Matchett war ziemlich zierlich, sie kann also nicht so schwer gewesen sein. Außerdem waren es nur ein paar Meter. Gleich darauf nimmt sie den Schlußapplaus entgegen. Ein Muster an Kaltblütigkeit!»
«Ich frage mich nur, warum sie, abgebrüht wie sie war, nicht einfach von ihrem Bett auf der Bühne zu Matchetts Frau hinübergegangen ist und sie an Ort und Stelle um die Ecke gebracht hat. Das wäre doch wesentlich einfacher gewesen», sagte Melrose.
«Hätten Sie das gemacht? Ich meine, an Harriets Stelle? Sie war nicht nur abgebrüht, sondern auch ganz schön gerissen. Auf diese Weise hingen sie beide drin», sagte Jury. Er zuckte die Achseln. «Natürlich kann sie Celia auch im Büro umgebracht haben. Dagegen spricht nur, daß inzwischen in Long Piddleton noch vier weitere Leute umgebracht worden sind, um das, was vor sechzehn Jahren passierte, zu kaschieren.» Jury beugte sich etwas vor. «Ich vermute, Ruby Judd hat dieses Armband irgendwo auf der Bühne in der Nähe des Betts gefunden. Für Simon Matchett muß das ein ziemlicher Schock gewesen sein! Was zum Teufel hatte das Armband seiner Frau, ein Armband, das sie ständig getragen hatte, an Ruby Judds Handgelenk zu suchen – sechzehn Jahre später? Er muß erraten haben, wo sie es gefunden hatte. Aber er sah keine Möglichkeit, es in seinen Besitz zu bringen. Die Angst, daß sie sich erinnern könne, saß ihm wohl im Nacken.» Jury goß sich noch etwas Whiskey nach. «Und
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