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Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Melrose ging zu dem engen Treppenhaus hinüber, an dessen Wand weitere Bilder hingen – von Mooshühnern und Fasanen, die mit dem Kopf nach unten an ihren dünnen Beinen aufgehängt waren. Die Treppe führte zu dem langen Gang mit den kleinen, dachkammerartigen Zimmern des oberen Stockwerks. Rechts von ihm war der Speiseraum. Er hatte eine niedrige Decke mit sichtbaren Balken, die von ein paar Steinblöcken gestützt wurde. Sie bildeten gleichzeitig auch die Nischen, in denen die Tische standen. Die Steine waren nur roh behauen, und das Gleichgewicht, in dem sie sich zwischen Boden und Decke hielten, erschien zu prekär, um den Raum noch gemütlich wirken zu lassen. Seine Tante fand ihn jedoch pittoresk; er erinnerte sie an den Speisesaal eines alten Klosters, was er vielleicht auch einmal gewesen war. Melrose hatte hier immer das Gefühl, sich in Stonehenge zu befinden. Der kalte, ungemütliche Eindruck wurde jedoch durch Perserteppiche, frische Blumen, rote Lampenkugeln über den Tischen und glänzende Messingplatten an den Wänden gemildert. Twig, ein ziemlich betagter Kellner, bemühte sich nach Kräften, einen beschäftigten Eindruck zu machen; umständlich stopfte er rote Servietten in leere Wasserbecher, während er die schwerere Arbeit Daphne Murch, der Kellnerin, überließ. Mit einem hochbeladenen Tablett näherte sie sich vorsichtig den beiden gepflegten alten Damen, die in einer der Nischen saßen. Viel war an diesem Abend nicht los; vielleicht war der Mord daran schuld.
    Twig schien Daphne die Leviten zu lesen. Arme Murch, nie konnte sie es ihnen rechtmachen; ihre Ungeschicklichkeit ging so weit, daß sie im Keller auch noch über Leichen stolperte.
    «Melrose!» Die Stimme seiner Tante ertönte aus der Bar. «Willst du ewig vor dem Speiseraum stehenbleiben? Komm schon!»
    Hätte er «ja, Tantchen» antworten und sich weiter mit seinem Reifen und seinem Ball vergnügen sollen?
    Agatha hatte an dem kleinen Tisch im Fenstererker Platz genommen; sie hatte sich den weichen, gepolsterten Sessel ausgesucht und Melrose die harte Bank überlassen. Matchett lungerte in dem Sessel neben ihr. Die rautenförmigen Fensterscheiben reflektierten das lodernde Feuer in dem mächtigen Steinkamin auf der anderen Seite des Raums. Riesige Holzscheite lagen auf seinem Boden herum, einen Schutzschirm gab es nicht. Die Flammen schossen hoch, fielen in sich zusammen und loderten wieder in die Höhe, als würden sie ihren eigenen finstern Gedanken nachhängen. Davor lag ein ungeschlachter Hund von zweifelhafter Abstammung und döste vor sich hin, ohne sich von der Nähe des Höllenfeuers stören zu lassen. Als er Melrose hereinkommen sah, öffnete er ein Auge und beobachtete, wie er den Raum durchquerte. Kaum hatte Melrose sich gesetzt, erhob er sich und lief zottelig und unbeholfen auf ihren Tisch zu. Melrose verstand nicht, was das Tier von ihm wollte, er hatte seine Zuneigung nie erwidert, sondern im Gegenteil immer nur versucht, den Hund zu ignorieren. Es war aber nicht einfach, einen zotteligen Mammut zu ignorieren, der ihm bis zu den Hüften reichte. Der Hund steckte seine Schnauze in Melroses Achselhöhle.
    «Mindy, setz dich», sagte Matchett ohne großen Nachdruck.
    Inzwischen war auch Twig an ihren Tisch gekommen und hatte die Bestellung für die Drinks entgegengenommen. Ein rosa Gin für Agatha, ein Martini für Melrose. Den mächtigen Busen auf ihren verschränkten Armen, meinte Agatha: «Mein lieber Matchett, rufen Sie doch Murch. Vielleicht ist ihr noch was eingefallen.» Seine Tante hatte sich die blödsinnige Angewohnheit zugelegt, Männer mit ihrem Nachnamen anzureden (Mein lieber Plant, mein lieber Matchett). Melrose fand das affektiert, keiner redete mehr so, außer vielleicht in dem Allerheiligsten irgendwelcher verstaubter Clubs, in denen die Leichenstarre eher zu den Todesursachen als zu den Begleiterscheinungen zählte.
    Melrose wußte, daß es für seine Tante nur eine Gelegenheit war, Scotland Yard zu spielen. «Warum läßt du das arme Mädchen nicht in Ruhe?» fragte er und strich ein Streichholz an, mit dem er sich dann seine Zigarre anzündete. «Sie interessiert mich nun mal, diese Angelegenheit, auch wenn sie dich kalt läßt! Vielleicht hat das Mädchen sich noch an was Ungewöhnliches erinnert?»
    «Ist es nicht schon ungewöhnlich genug, einen Gast mit dem Kopf im Bierfaß vorzufinden? Ungewöhnlicher kann es kaum werden.»
    «Ja, lassen wir sie besser in Ruhe», stimmte Matchett ihm zu. «Das

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