Inspektor Jury schläft außer Haus
den «Toten Mann» und spähte dabei aus dem Fenster; er entdeckte, daß das Glitzern von einem Gegenstand in der Erde herrührte, wahrscheinlich von einem Stückchen Glas. Dann erstarrte seine Wahrnehmung zu einem Bild, und er bremste so abrupt, daß er beinahe gegen die Windschutzscheibe geprallt wäre. Einen Augenblick lang saß er völlig regungslos da und sagte sich, daß diese Sache, die da in der Erde steckte, unmöglich das sein konnte, was er zu sehen geglaubt hatte.
Ein Ring. Aber hatte er wirklich an einem Finger gesteckt?
Während Sheila immer noch lachte, schlüpfte Jury in seinen Mantel und streifte sich die Handschuhe über. «Ich hab noch mehr Fragen, Mr. Darrington. An Sie und Miss Hogg. Im Augenblick fehlt es mir aber an der Zeit. Ich würde gerne Ihr Telefon benutzen, wenn Sie gestatten, um mit meinem Wachtmeister zu sprechen.»
«Dort bitte», sagte Darrington und zeigte auf die Tür zum Flur. Etwas von seiner alten Überheblichkeit war zurückgekehrt, als er sich Jury zuwandte: «Wenn ich Sie recht verstanden habe, Inspektor, dann ist die Tatsache, daß Scharf auf Mord bei der Leiche gefunden wurde, mehr oder weniger der Beweis, daß ich nichts mit der Sache zu tun habe?»
Durch und durch ein Schuft, dachte Jury. Nicht das geringste Mitgefühl für Sheila, die wahrscheinlich ihre ganze Selbstachtung geopfert hat, um Darrington zu einer glanzvollen Karriere zu verhelfen. Der verdammte Kerl benötigte einen Dämpfer. «Ich meinte damit nur, daß es Sie entlasten könnte, nicht mehr. Es gibt da ein Motiv, das eigentlich nur Sie haben können, Mr. Darrington: öffentliches Aufsehen. Bei Ihrem angeschlagenen Ruf hätte Ihnen doch gar nichts Besseres passieren können, oder? Scharf auf Mord auf allen Titelseiten. Ihre Bücher würden plötzlich einen enormen Absatz finden. Sie hätten sich den Erpresser vom Hals geschafft und obendrein noch die Werbetrommel für sich gerührt.»
Darrington erblaßte wieder.
«Das Telefon, Mr. Darrington?»
Wie auf ein Stichwort hin fing das Telefon an zu klingeln. Sheila, die sehr viel gefaßter war als Darrington, ging hinaus, um den Hörer abzunehmen. «Es ist für Sie, Inspektor», rief sie vom Flur aus.
Er bedankte sich, und als er den Hörer von ihr entgegennahm und ihr dann nachblickte, wie sie in den Salon zurückging, hoffte er nur, daß sie eines Tages einen besseren Mann finden würde als Oliver Darrington. Trotzdem schied Sheila keineswegs aus dem Kreis der Verdächtigen aus. Fest stand nur, daß sie sehr viel couragierter war als ihr Freund.
«Jury am Apparat», sagte er und hörte mit wachsendem Erstaunen, was Melrose zu berichten hatte. «Hören Sie, Mr. Plant, bleiben Sie, wo Sie sind. In zehn Minuten bin ich bei Ihnen.» Er knallte den Hörer auf die Gabel und wählte dann das Revier von Long Piddleton. Er hörte das Brr-Brr des Telefons und fing schon an, Wiggins und Pluck zu verfluchen. Endlich antwortete Pluck, und Jury sagte ihm, er solle sich sofort mit Weatherington in Verbindung setzen, den Tatortsachverständigen und Appleby benachrichtigen, die ganze Mannschaft zusammentrommeln und sie auf dem schnellsten Weg zum Hahnen mit der Flasche schicken. Eine weitere Leiche sei gefunden worden. Der arme Pluck stammelte ein paar unzusammenhängende Worte und brachte schließlich hervor: «Ja, Sir, sofort, Sir. Aber hier wimmelt es nur so von Reportern, die alle mit Ihnen sprechen wollen. Sie sind vor knapp einer halben Stunde aus London hier eingefallen.»
«Vergessen Sie die Reporter, Wachtmeister. Und erzählen Sie ihnen um Himmels willen nicht, was passiert ist, sonst blockieren sie mit ihren Autos die ganze Straße nach Sidbury, und wir kommen nicht mehr durch.»
«In Ordnung, Sir. Ich wollte Ihnen nur noch sagen», er senkte die Stimme, «daß Lady Ardry diesen Londoner Zeitungsfritzen Interviews gibt und dabei gleich sechs auf einmal ranläßt. Außerdem soll ich Ihnen ausrichten, daß Kriminaldirektor Racer eine Stunde lang versucht hat, Sie zu erreichen. Er kocht vor Wut.»
«Danke, Wachtmeister, wenn er wieder anruft, verbinden Sie ihn mit Lady Ardry.»
Mit dem blauen Morris schaffte Jury die 20 Kilometer von dem Haus bis zum Hahn mit der Flasche in knapp 20 Minuten, rief jedoch empörte Reaktionen bei gelasseneren Verkehrsteilnehmern hervor, die am Heiligen Abend eine gemütliche Spazierfahrt machen wollten.
Ungefähr einen halben Kilometer vor dem Gasthof zum Hahn mit der Flasche fuhr Jury auf die rechte Straßenseite und
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