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Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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bremste kurz vor dem Erdhügel. Er sprang aus dem Wagen, und ohne die Tür hinter sich zuzuschlagen, rannte er zu der Stelle, an der Melrose Plant auf dem Boden kniete. Auf dem Hügel lag eine Plastikplane.
    «Ich hab gar nicht erst versucht, die Erde wegzuscharren; sie ist auch steinhart. Ich dachte, alles soll möglichst so bleiben, wie es ist. Nur die lose Erde auf ihrem Arm habe ich entfernt.»
    «Gut so, Mr. Plant.» Aus der schneeverkrusteten Erde ragte bis ungefähr zum Ellbogen ein Arm und eine Hand hervor. Die Fingernägel waren grellrot lackiert, und an einem Finger steckte ein großer, billiger Ring. Jury betastete den Arm. Er war so hart wie ein Eiszapfen.
    «Es war ziemlich offensichtlich», sagte Plant, «daß diejenige, der dieser Arm gehörte, unter dem Erdhaufen nicht mehr nach Luft gerungen hat. Ich habe also nichts unternommen. Die Plane warf ich wegen der vorbeifahrenden Autos darüber. Ich dachte mir, daß Sie keinen Wert auf Neugierige legen. Ich habe mich nur davor gestellt und sie vorbeigewinkt. Wahrscheinlich hielten sie mich für einen Straßenarbeiter.»
    Trotz der schrecklichen Umstände mußte Jury lächeln. Der Anzug, den Plant trug, war nicht gerade das, was Straßenarbeiter zu tragen pflegen. Es sickerte auch gleich in Jurys Bewußtsein, daß der ‹Tote Mann› sich direkt vor der Abfahrt zu dem Hahn mit der Flasche befand; der Gasthof selbst lag ein ziemliches Stück abseits der Straße. Wieder ein Gasthof. Die Zeitungen würden sich freuen.
    Er sagte zu Plant: «Gut gemacht, Mr. Plant. Vor allem, daß Sie nicht versucht haben, sie auszubuddeln. Der Tatort-Sachverständige würde uns den Kopf abreißen, wenn wir irgend etwas durcheinander gebracht hätten.»
    Sie standen noch ungefähr zehn Minuten herum, bis Jury die Sirene aufheulen hörte. Pluck hatte sich zum Glück beeilt. Weatherington kam nach Sidbury – es war ungefähr 20 Kilometer von der Kreisstadt entfernt. «Mr. Plant, warum gehen Sie nicht zu dem Gasthof und reden schon einmal mit dem Wirt – kennen Sie ihn?»
    «Nicht gut. Nur vom Sehen. Ich bin einmal an der Bar eingeschlafen, als er mir seine Lebensgeschichte erzählen wollte. Was soll ich ihm sagen?»
    Jury blickte gerade auf die erstarrte Hand, als der Polizeiwagen um die Kurve kam. «Sagen Sie ihm, daß ich gleich vorbeikomme, um ihm ein paar Fragen zu stellen.»

    Dr. Appleby wartete, geduldig eine Zigarette rauchend, während der Tatort-Sachverständige, ein Mann mit einem wie aus Stein gemeißelten Gesicht, jedes Detail festhielt. Am Hals des Opfers waren deutlich Strangulierungsmale zu erkennen. Und das Opfer war, wie Jury schon vermutet hatte, eine gewisse Ruby Judd, das Hausmädchen des Pfarrers.
    Als der Polizeifotograf die Leiche von allen Seiten fotografiert hatte, blickte Dr. Appleby dem Oberinspektor so strafend in die Augen wie Väter manchmal ihren Kindern, wenn sie einmal zu oft von dem schmalen Pfad der Tugend abgekommen waren. Jury, der selten den Blicken seiner Mitmenschen auswich, wandte die Augen ab. «Inspektor Jury, am besten Sie nehmen mich bei Ihren Exkursionen gleich mit. Ich lande doch immer wieder am Schauplatz Ihrer Verbrechen.» Mit nikotinverfärbten Fingern zündete sich Appleby am Stummel seiner letzten eine neue Zigarette an.
    «Sehr komisch, Dr. Appleby. Es sind aber eigentlich nicht meine Verbrechen, wie Sie es auszudrücken belieben. Sie gehen vielmehr auf das Konto eines anderen.» Jury wünschte, er hätte nicht auch noch einen witzereißenden Mediziner am Hals. Er hatte Appleby im Verdacht, sich bestens zu amüsieren, wenn auch auf etwas perverse Weise: Wie oft hatte er es wohl schon mit etwas anderem als mit Masern, Frauenleiden oder Magenbeschwerden zu tun.
    Dr. Appleby blies den Rauch in die Luft und parierte rasch: «Ja, auf das Konto eines anderen. Es fragt sich nur, auf wessen? Die Bevölkerung hier in der Gegend nimmt von Tag zu Tag ab.» Der Arzt ließ die Asche in die neu ausgehobene Kuhle fallen. Die Leiche, die in einen Plastiksack gesteckt worden war, damit auch nichts verlorenging, war bereits in den Krankenwagen geschoben worden. Der Spezialist für Fingerabdrücke, der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt, dem Kaugummi und der Trillerpfeife, hatte hier kaum etwas zu tun gefunden und war auf dem Weg zum Pfarrhaus, um Ruby Judds Zimmer zu inspizieren.
    «Dr. Appleby, die Fakten, bitte.»
    «Die habe ich Ihnen schon dreimal genannt, warum nehmen Sie nicht einfach die der anderen Fälle?»
    Jury wurde ungeduldig.

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