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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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leid, wirklich.» Sie legte ihr Kinn in die Hand und weinte lautlos. Tränen rollten über ihre blassen Wangen. «Sie haben recht. Als ich diese Schachtel mit ihren Sachen fand, wußte ich Bescheid. Der Ring, das Bild, das Sie genommen haben. Ich habe sein Gesicht rausgeschnitten … Rolfes Gesicht, er war mit ihr zusammen auf dem Bild.» Sie bückte sich, hob den Ring auf, starrte darauf und ließ ihn auf den Tisch fallen. «Ich habe ihn nie bei den Craels getragen. Mein Gott! Dabei sehe ich ihnen auch noch so ähnlich! Warum hat das nie einer gesehen?» Ihre Stimme klang schrill und verzweifelt.
    «Sie haben sich mit Olive Manning an der Mauer verabredet. Und Sie dachten, Bertie hätte Sie gesehen, wie Sie den Schwalbenschwanz nahmen, oder?» Sie erwiderte nichts.
    «Sie müssen Gemma Temple eine Nachricht geschickt haben – etwas, was sie veranlaßte, zur Engelsstiege zu gehen. Haben Sie ihr ausrichten lassen, Julian wolle sie treffen? Oder Adrian Rees? Ich vermute, Adrian. Deshalb hat Les Aird Gemma die Hauptstraße entlangkommen sehen; sie wußte nicht, daß Adrian im ‹Fuchs› saß, weil sie nicht durch die Bar gegangen war. Ich kann mir vorstellen, daß Maud Brixenham die eine oder andere Bemerkung über ihre Beziehung fallengelassen hat.»
    Lilys hartnäckiges Schweigen bewies ihm, daß er auf der richtigen Spur war; es war, als würde sie jedem Wort zustimmen.
    «Sie können mir auch alles erzählen, Lily. Es ist vorbei, und Sie wissen es.»
    «Es ist doch völlig unmöglich, so schnell von hier zur Engelsstiege zu kommen. Sogar Sie haben das gesagt.»
    «Sie waren nicht zu Hause, als Gemma getötet wurde. Und es war nicht Gemma Temple, die Adrian in der Grape Lane sah. Sie waren es. Gemma Temple war bereits tot. Sie haben sie, kurz nachdem Les sie gesehen hat, ermordet. Und danach ist Ihnen dann Adrian in der Grape Lane begegnet.»
    Lilys Gesicht war weiß, ihre Stimme brüchig. «Was soll denn das?»
    «Wie ich sagte: Sie wurde vor elf Uhr fünfzehn getötet. Nicht danach, wie wir dachten.» Jury beugte sich vor, ohne daran zu denken, daß Lily kurz zuvor auf ihn losgegangen war. Er glaubte, die letzten Spuren von Lady Margarets Schönheit aus ihrem Gesicht weichen zu sehen.
    «Lily …»
    Es passierte schneller als die Attacke mit den Fingernägeln: der erhobene Arm, die Kristallkugel gerade einen Zentimeter von seinem Kopf entfernt und der blitzschnelle Fuß Wiggins’, der alles umwarf – Tisch, Stühle, Gläser, Bestecke und auch Jury – bei dem Versuch, ihre Hand von Jurys Kopf fernzuhalten. «Mein Gott!» sagte Jury und stand vom Boden auf. «Wo haben Sie denn das gelernt?»
    «Karate, Sir.» Wiggins atmete schwer. «Gut für die Nebenhöhlen, habe ich festgestellt.»
    Jury kniete neben Lily, die bewußtlos auf dem Steinfußboden lag. «Sie muß mit dem Kopf aufgeschlagen sein. Gibt es überhaupt einen Arzt in Rackmoor? Sehen Sie zu, daß Sie einen auftreiben. Ich bleibe bei ihr.» Jury schob seinen Anorak unter ihren Kopf. «Haben Sie Aspirin, Wiggins? Meine Kopfschmerzen bringen mich um.»
    Er wußte, daß er sich in dieser einen Sache auf ihn verlassen konnte; Sergeant Wiggins würde immer Aspirin bei sich haben.
    Vom Fenster aus beobachtete Jury, wie Wiggins in der Abenddämmerung die Straße entlanglief. Er sah durch das Schneegestöber auf die Brücke über das Flüßchen. Auf dem Geländer lag eine weiße Schneedecke.
    Jury ging zum Tisch zurück, setzte sich hin und betrachtete Lilys Gesicht in der Dunkelheit. Aschfahl und wie aus Marmor. Sie bewegte sich etwas und stieß ein leises Stöhnen aus. Er überlegte, ob er ihr einen Brandy geben sollte. Ob es hier überhaupt welchen gab? Es war wohl besser, auf den Arzt zu warten. Er saß da und betrachtete ihre Züge, die Spuren von Lady Margarets Schönheit.
    Jury legte den Kopf in die Hände. Welch eine Verschwendung, dachte er.

6
    «Lily?» sagte Colonel Crael. « Lily? Ausgerechnet … das kann doch nicht Ihr Ernst sein!» Er blickte zu Jury auf, der in der Mitte des Bracewood-Salons stand, als müsse ihm ein Irrtum unterlaufen sein, als hätte er Lily mit jemandem verwechselt.
    «Tut mir leid, Colonel Crael.»
    Einen Moment lang herrschte Schweigen. «Ich würde sie gerne sehen, wenn ich darf.»
    «Nein, jedenfalls nicht jetzt.» Niemals, wenn die Entscheidung von Jury abhinge. Vielleicht würde eines Tages doch alles herauskommen, ihre Beziehung zu der Familie. Aber Jury hatte nicht vor, es ans Tageslicht zu bringen. Wenn der Colonel

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