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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Bertie den Stab weitergab. Froschauge machte am meisten Ärger; sie sprach ständig von «zuständigen Stellen», die eingeschaltet werden müßten. Seine Mutter war nun schon seit sechs Wochen weg, bald würden es zwei Monate sein. Und Froschauge war der Meinung, daß sie eine «bessere Regelung» finden sollten. Er wollte nichts davon wissen und hielt sie hin – er hielt sie alle hin: Er versicherte ihnen, daß er Post von seiner Mutter bekommen hätte, einen Brief, den er nicht mehr finden könne; sie würde aber noch immer ihre todkranke Großmutter in Nordirland pflegen.
    Den Brief, den seine Mutter tatsächlich geschrieben hatte, wollte er ihnen jedoch nicht zeigen. In den letzten Tagen hatte er ihn etwas seltener aus der Schublade genommen, aber doch noch so häufig, daß das Papier an den Stellen, an denen er zusammengefaltet wurde, schon ganz dünn geworden war. Entfaltet sah er wie ein in kleine Quadrate unterteiltes Fenster aus. Bertie verstand nicht, was in ihm stand, und er wußte nicht, welche Absicht sie damit verfolgte.
    Ihre Abwesenheit lähmte ihn jedoch keineswegs. An seinen und Arnolds Lebensgewohnheiten hatte sich praktisch nichts geändert. Auch als seine Mutter noch bei ihnen gewesen war, hatte sich vor allem Bertie um den Haushalt gekümmert; er putzte, kochte und machte sich für die Schule fertig, während seine Mutter nur von London träumte, ihre Trauben-Nuß-Schokolade aß und Krimis las.
    Er kam also sehr gut ohne sie aus. Aber er fühlte sich doch irgendwie benachteiligt, vor allem, wenn er die anderen Jungen zusammen mit ihren Müttern sah. Er glich dann einem Jungen, der sehnsüchtig auf einen Roller starrt und denkt: Alle haben einen, warum ich nicht?
    Aber nach einer Weile vergaß er sogar, daß sie nicht mehr da war, und deckte wieder für drei statt für zwei. Er und Arnold aßen ihre Teller leer und starrten dann aus dem Fenster – jeder aus seinem –, bis Arnold ungeduldig wurde, gähnte und von seinem Stuhl sprang, um hinausgelassen zu werden. Manchmal gingen sie zusammen im Nieselregen spazieren, und Bertie hoffte, der Regen würde seine Gehirnzellen aktivieren und ihn eine Erklärung für die Abwesenheit seiner Mutter finden lassen, mit der sich Froschauge und Stockfisch zufriedengeben würden. Während Arnold seine halsbrecherischen Gratwanderungen unternahm – am liebsten auf Pfaden, die nicht einmal richtige Pfade waren (vielleicht um brütende Vögel aufzustöbern, dachte Bertie) –, starrte er aufs Meer hinaus. Er stand einfach nur da, wartete auf Arnold und schien sich von den Wellen, die sich bei diesem Wetter schon ganz weit draußen brachen, inspirieren zu lassen. Während einer dieser Pausen war ihm auch die Idee mit Belfast gekommen. Weder Froschauge noch Stockfisch würden ihre langen Nasen in die Angelegenheiten Nordirlands stecken wollen. Keiner wollte das!
    Bertie wußte, daß es «Heime» gab, und er wußte auch, daß es Polizeiwachen gab. Das waren die einzigen «zuständigen Stellen», von denen er annahm, daß sie sich für ihn interessieren könnten. Er war deshalb völlig aufgelöst, als Inspektor Harkins an seine Tür klopfte; zum erstenmal in seinem Leben dachte er, er würde gleich ohnmächtig werden. Wenn dieser Detektiv nicht gekommen war, um ihn in ein «Heim» zu stecken, dann könnte er ihn nur wegen der Schecks sehen wollen.
    Aber es war weder das eine noch das andere. Er wollte mit ihm über einen Mord sprechen.

8
    Heute nachmittag stand jedoch weder Froschauge noch die Polizei, sondern Melrose Plant vor seiner Tür. Bertie versuchte sich zu konzentrieren; er kniff vor Anstrengung die Augen zusammen und fing an, Grimassen zu schneiden. Dabei enthüllte er eine Zahnlücke und mehrere reparaturbedürftige Zähne. Von einem Wirbel stieg ein Büschel brauner Haare wie eine kleine Flagge senkrecht in die Höhe. Seine schmutzigbraune Kniebundhose war am Knie gestopft und seine braune Wolljacke falsch geknöpft; sie wellte sich an seiner Schulter und verlieh ihm ein leicht buckliges Aussehen.
    Alles in allem, dachte Melrose, war der karamelfarbene Terrier mit seinen glänzenden braunen Augen eindeutig der hübschere von beiden. Melrose trug einen Mantel mit Samtkragen, auf dessen Schulter sein silberbeschlagener Spazierstock lag. «Kannst du deinen Vater holen. Sei so nett.»
    Bertie musterte ihn argwöhnisch. «Mein Vater ist tot.»
    «Oh. Tut mir leid. Na ja, dann würde ich gern mit deiner Mutter sprechen.»
    Einen Augenblick lang herrschte

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