Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
zurückgezogen. Die Party war schon im Gang. Ich hätte mein Zimmer wohl kaum unbemerkt verlassen können. Aber nehmen wir mal an, es wäre doch möglich gewesen – zurückgekommen wäre ich bestimmt nicht auch noch, ohne daß mich jemand gesehen hätte.»
    «Und die Mauer hätten Sie auch nicht hinunterklettern können», sagte Jury. Sie waren in den Salon zurückgegangen, und Jury hatte sich wieder in seinen Sessel gesetzt; er zog das Streichholzmäppchen aus der Tasche und bog ein Streichholz nach dem andern um.
    Julian, der wieder vor dem Kamin stand, breitete scheinbar hilflos die Hände aus; er machte einen belustigten Eindruck.
    «Übernachten Sie häufig im ‹Sawry Hotel›, Mr. Crael?»
    «Was –?»
    «Im ‹Sawry›. Sehr exklusiv, in Mayfair, wenn ich mich nicht irre?»
    Einen Augenblick lang schien Julian verwirrt, bis dann seine unterkühlte Sorglosigkeit wieder die Oberhand gewann. «Unsere Familie pflegt dort abzusteigen. Ich fahre gelegentlich nach London, wie alle Welt. Warum fragen Sie?»
    Jury hielt das Streichholzmäppchen hoch, so daß er die bedruckte Seite sehen konnte.
    Julian starrte darauf und wandte den Blick wieder ab.
    «Gemma Temple kam aus London.»
    «Ja, gut, Inspektor. Adrian Rees kommt auch aus London. Und Maud Brixenham. Olive Manning war kürzlich ebenfalls dort. Jeder zweite kommt aus London.» Er trank seinen Whisky.
    Er hatte sich elegant aus der Affäre gezogen. Jury wechselte wieder das Thema. «Können Sie mir etwas über Lily Siddons erzählen?»
    Julian, der gerade sein Glas in die Hand genommen hatte, setzte es abrupt wieder ab. «Was um Himmels willen hat sie damit zu tun?»
    «Weiß ich auch nicht. Deshalb frage ich ja. Sie hatten doch an dem Abend vor dem Ball ein paar Gäste zum Abendessen?»
    «Ah, ja. Miss Temples Debut. Vater hatte auch Lily eingeladen. Zusammen mit Rees und Maud Brixenham. Aber ich verstehe nicht –»
    «Das Kostüm. Das Kostüm, das Gemma Temple trug, gehörte Lily Siddons. Irgendwie wurde getauscht.»
    Julian starrte ihn an. «Wollen Sie damit sagen, daß der Mörder es auf Lily abgesehen hatte?» Jury antwortete nicht, sondern blickte ihn einfach nur an. Julian schnaubte und schüttelte den Kopf wie ein Spürhund, der durch eine falsche Fährte verwirrt worden ist. «Ich muß gestehen, daß ich der Unterhaltung nicht richtig folgte, und ich erinnere mich auch nicht, daß von Kostümen die Rede war. Ach ja, diese Temple fing zu lamentieren an, weil sie keines hatte. Ich habe mich kurz darauf zurückgezogen. Sie müssen meinen Vater fragen. Oder Maud. Oder Lily selbst, warum fragen Sie nicht einfach Lily?»
    «Das werde ich auch tun. Hat Lily Siddons nicht auch einmal hier gewohnt? Damals, als ihre Mutter noch Köchin war?»
    «Ja, ein paar Jahre als Kind.»
    Jury dachte kurz nach. «Wissen Sie, manchmal habe ich das Gefühl, daß Morde eine lange Vorgeschichte haben. Daß der Mörder gewöhnlich schon lange gewartet hat – daß er diesen Gedanken bereits wie eine Leiche mit sich herumgeschleppt hat. Schließlich setzt er ihn dann in die Tat um. Und läßt die Leiche in der Gegenwart liegen. Auf der Engelsstiege. Oder sonstwo.» Er verstummte, als er den Ausdruck auf Julians Gesicht sah: Es war aschfahl und völlig verzerrt. Er fing sich jedoch sehr schnell wieder, aber die paar Sekunden hatten genügt, um Jury zu der Überzeugung gelangen zu lassen, daß Julian drauf und dran gewesen war, ein Geständnis abzulegen: ein Schritt über dem Abgrund, aber dann hatte er schnell wieder den Fuß zurückgezogen.
    Julian bemerkte nur: «Will Papa mich mit Lily verkuppeln? Wahrscheinlich, er hatte schon immer eine Schwäche für sie. Daß sie die Tochter der Köchin ist, scheint ihn nicht zu stören.»
    «Ich könnte mir vorstellen, daß es ihm gefallen würde, wenn Sie heirateten. Sie müssen ja sehr begehrt sein: Adlig, reich, gutaussehend, intelligent – wie konnten Sie sich überhaupt retten?»
    «Und gleich in der richtigen Reihenfolge! Mit dem Adel ist es nicht weit her. Nur ein Baronstitel. Das, was unser Gast, Mr. Plant, aufgegeben hat, werde ich nie erreichen. ‹Sir Julian› ist das höchste der Gefühle.» Es schien ihm nicht viel daran zu liegen. «Was Lily betrifft – ja, mein Vater hat sie sehr gern. Sie erinnert ihn an früher. Sie hilft ihm, die Illusion aufrechtzuerhalten, daß noch nicht alles vorbei ist.»
    «Lily Siddons kann also damit rechnen, in seinem Testament bedacht zu werden, Mr. Crael?»
    Julian runzelte die Stirn.

Weitere Kostenlose Bücher