Inspektor Jury spielt Domino
zurückgezogen. Über dem Rock trug sie einen engen, gestreiften Pullover, unter dem sich ihre kleinen, spitzen Brüste abzeichneten. Die kunstvollen, mit Schildpattkämmen hochgehaltenen und mit Haarspray fixierten Locken ließen ihr Gesicht noch schmaler erscheinen.
Jury fragte sich, was Cory wohl an diesem Gebilde gefiel. Sie ständig um sich zu haben mußte schlimmer als Zahnschmerzen sein. Er vermutete auch, daß sie nicht wirklich Mrs. Cory war; wie die Möbel war auch sie jederzeit austauschbar.
Mit einem leuchtend lackierten Daumen und Zeigefinger nahm sie den Kaugummi aus dem Mund und ließ ihn in einen riesigen Glasaschenbecher fallen. Dort lag er dann traurig – das einzige Ding im Raum, das gebraucht aussah.
Neben ihr auf der weißen Couch lagen ihre Tasche und ihr Mantel. Daß sie im Begriff war wegzugehen, schien die Wahrheit zu sein. Jury bezweifelte allerdings, daß sie häufig die Wahrheit sagte.
Warum hatte er sich die Szenerie so anders ausgemalt? Eine schlampige, hübsche Frau in einem Morgenrock, ein ungemachtes Bett, Schnappschüsse von Bertie, die an der Spiegelkommode steckten … Er schien hier überhaupt nicht zu existieren, kein einziges Foto und nichts in ihrem Gesicht erinnerte an ihn. «Also, worum dreht’s sich denn?» Die Hand mit den rot lackierten Fingernägeln fuhr hoch zum Haar, um sich zu vergewissern, daß das künstliche Gebilde durch diesen unwillkommenen Eindringling auch nicht in Unordnung geraten war.
«Ich bin gekommen, um mit Ihnen über Ihren Sohn zu sprechen, Mrs. Cory.»
Sie sah schnell weg und nahm den Kaugummi aus dem Aschenbecher. «Ich habe» – sie steckte ihn in den Mund – «keinen Sohn. Ich weiß nicht, wovon Sie reden.»
Jury fühlte, wie ihm kalt wurde, wie sein Griff um die Kante der Armlehne härter wurde. «Ich rede von Bertie. Bertie Makepiece.» Er kam sich wie ein Idiot vor, weil er es sagte, als müßte der Name in ihr eine Erinnerung wachrufen. Als würde sie «Oh, ja, der», sagen und mit den Fingern schnippen.
Seine Miene mußte sie eingeschüchtert haben, denn sie sagte: «Hören Sie mal, was hat eigentlich Scotland Yard damit zu tun? Was hat die Polizei hier zu suchen. Haben Sie mit dem Jugendamt zu tun, oder was?» Ihre Stimme wurde eindringlicher. «Ich nehme an, Sie wollen mich dazu bringen, daß ich zurückgehe?»
«Ich bin nicht dienstlich hier. Nur aus Interesse. Ich traf Bertie, als ich an einem Fall arbeitete, und fand, daß die Geschichte, mit der er Ihre Abwesenheit erklärte, irgendwie seltsam klang. Bertie behauptet, daß seine Mutter wegfahren mußte, um eine kranke Großmutter zu pflegen. In Nordirland. Sieht aber so aus, als seien Sie in London, nicht?»
«Nordirland? Ich hab nie was von Irland gesagt! Ich hab zwar eine alte Oma, die da lebt, aber ich hab nie gesagt, daß ich dahin fahre.» Jetzt war ihrer Meinung nach wohl Bertie der schuldige Teil. «Also, so was!»
«Bertie erzählt jedem, daß die alte Oma in Nordirland lebt, auf der Bogside.» Jury mußte gegen seinen Willen lächeln. Aber sie blickte nur stumpf vor sich hin. War er gekommen, um zu sehen, ob sie genug Humor besaß, um über den Einfallsreichtum ihres Sohnes zu lachen? Um noch etwas von einer Mutter in ihr zu entdecken?
«Er erfand immer irgendwelche Geschichten. Er phantasierte alles mögliche zusammen …» Ihre Stimme verlor sich, während sie an dem Couchfell zupfte.
«Bertie? Ich habe genau das Gegenteil festgestellt. Vernünftig, ausgeglichen, umsichtig.» Wenn jemand von den beiden ein Phantasieleben führte, dann war es die Mutter und nicht der Sohn. Und was für eine dürftige Phantasie noch dazu, dachte er, als er sich noch einmal im Zimmer umsah.
«Ja, das stimmt. Umsichtiger als ich. Bertie konnte alles, machte auch alles, wenn ich arbeitete. Kochen, abwaschen, putzen. Er hat sogar den alten Köter dazu gebracht, daß er einkaufen ging. Er ist doch noch da, oder? Arnold?»
Es klang, als würde sie nach einem Bekannten aus ihrer Kindheit fragen. Jury nickte. Ihre Stimme wurde kriegerisch, sie lehnte sich vor, und ihre Hände umklammerten ihre Knie. «Hören Sie. Bert kriegt Geld, dafür sorge ich. Ich hab ihm gesagt, er soll nur weiterhin die Schecks mit der Rente einlösen …»
«Dazu muß er unterschreiben. Das ist Unterschriftenfälschung.»
«Nun, trotzdem. Sehen Sie, das müssen Sie verstehen: Ich hab ihm einige Male geschrieben. Ich habe es ihm erklärt , ich meine, daß ich es dort nicht aushalten kann. Ich bin nicht
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