Inspektor Jury spielt Katz und Maus
steckt ganz schön in der Klemme wegen gestern abend. Unglaublich, daß ein Mann so besessen sein kann –»
«Er ist schrecklich. Wenn er nicht jagen kann, dreht er gleich durch.» Sie lehnte sich vornüber und stützte die Ellenbogen auf die Knie.
«Er hat mir einen endlosen Vortrag über die Hirschjagd gehalten.»
«Als ‹fiese Biester› bezeichnet er sie. Hat wahrscheinlich nichts davon erzählt, was Hirsche und Rehe in Todesangst alles tun. Zum Beispiel über Klippen springen. Ins Meer hinausschwimmen –»
Grimsdales Vortrag war, verglichen damit, was Melrose jetzt von Carrie zu hören bekam, eine kurze Rede gewesen. Wenn es um Tiere ging, wurde sie sofort gesprächig. Die unendliche Liste der Brutalitäten bei der Rotwildjagd endete mit der Geschichte eines Bocks, der unter einen Lieferwagen gekommen war und dem sie vor den Augen der Dorfbewohner die Kehle aufgeschlitzt hatten.
«Und er fängt Füchse ein», fuhr sie fort und starrte geradeaus.
Er war beeindruckt von ihrem wunderbaren Profil. Was für Vorfahren hatte dieses Mädchen?
«… sehen Sie den da?»
Melrose schüttelte den Kopf, um einen klaren Gedanken fassen zu können.
«Entschuldigung. Wen?»
«Den Fuchs. Er hält Füchse im Zwinger. Dann läßt er sie frei und hetzt die Hunde auf sie. Und das, obwohl es ausdrücklich verboten ist. Ich habe die Vorschriften gelesen.»
Sie fuhr fort:
«Wenn ein Fuchs sich in seinem Bau versteckt und seine Dachse oder Terrier ihn nicht erwischen, holt er ihn mit Gewalt heraus. Wenn ein Fuchs sich in einem Kaninchenloch oder so versteckt, ist er dort geschützt und unantastbar.» Plötzlich stand sie auf. «Ich muß Bingo suchen.»
«Carrie, eine Sekunde noch. Pasco wird natürlich vorbeikommen. Man wird dich auffordern, Anzeige zu erstatten.» Das schien sie nicht zu verstehen. «Du weißt schon. Gegen Grimsdale.»
«Warum? Weil er mich fast erschossen hätte?» Sie zuckte die Schultern, suchte immer noch den Horizont ab. «Er hätte sowieso danebengeschossen.»
Das sah Melrose anders. «Willst du damit sagen, du zeigst ihn nicht an? Er hat dich mit einer Schußwaffe bedroht!»
«Jemand hat seine Hunde umgebracht. Da wäre ich auch ganz schön wütend.»
Melrose konnte es nicht fassen. «Aber du haßt den Mann!»
Ihr Gesicht war wieder ausdruckslos. «Den kann man gar nicht haftbar machen. Er ist unzurechnungsfähig.»
Zur gleichen Zeit saß Jury in seiner Wohnung, rauchte und las die Berichte der verschiedenen Abteilungen von New Scotland Yard. Sie halfen ihm auch nicht weiter. Brindle war einmal in einer Erpressungssache erwischt worden, was aber kaum der Rede wert war. Vermutlich hatte er es etliche Male mit unterschiedlichem Erfolg probiert. Es schien seine Freizeitbeschäftigung zu sein, wenn er nicht fernsah oder sich betrank.
Über die Familie Lister: nichts. Was der alte Mann ihm erzählt hatte, wurde durch den einen oder anderen Zeitungsartikel bestätigt – über Carrie Fleet stand nichts drin, das heißt, über Carolyn, wenn man davon ausging, daß die beiden Mädchen ein und dieselbe Person waren. Es mußte so sein – die Kette der Ereignisse war schlüssig, bis zu der zufälligen Begegnung mit Regina …
Jury schüttelte noch eine Zigarette aus dem Päckchen auf der Sessellehne. Eine weitverzweigte Familie, die Listers. Der Sohn, die Töchter, etliche Cousins und Cousinen. Und eine Schwester. Ja, eine Schwester hatte er erwähnt.
Jury verbrannte sich den Finger an einem Streichholz. Mit den Gedanken war er bei Gigi Scroop aus Liverpool. Er nahm Brindles Brief noch einmal heraus. «… also, Flossie und ich haben gedacht, weil wir sie während all der Jahre umsorgt haben, sollte das doch eigentlich ein bißchen mehr wert sein, meinen Sie nicht, Baronin?» Den Titel hatte Flossie bestimmt vorgeschlagen, um dem ganzen den Hauch Stil zu verleihen, der ihr selbst fehlte.
Jury ließ den Brief auf die Papiere fallen und runzelte die Stirn. Wenn Una Quick das Foto an sich genommen hatte, hatte sie vielleicht auch Erpressung im Sinn gehabt. Aber wie hatte sie in diesem spezifischen Fall zwei und zwei zusammengezählt? Für Una bestand zwischen «Amy Lister» und Carrie Fleet kein Zusammenhang.
Aber für wen sonst?
Irgend jemand in Ashdown wußte, daß Carrie Fleet etwas damit zu tun hatte und daß Geld drinsteckte – Ein Klopfen an der Tür schreckte ihn aus seinen tiefen Gedanken.
Carole-anne stand da, wie immer leicht bekleidet. Heute trug sie hautenge Lederhosen und ein
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