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Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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überzeugt, daß die Fahrkarte genau das bedeutete, was sie zu bedeuten schien: daß die Frau aus London gekommen war und vorgehabt hatte, am selben Tag wieder zurückzufahren.
    Jury hatte eine hohe Meinung von den Polizisten in der Provinz; ihre Unbestechlichkeit war schon legendär. Auch wenn ihre Feinde unter den Großstadtkollegen sie als einen Haufen blöder Hinterwäldler bezeichneten: Jurys Meinung nach war das nur der Neid auf ihren Ruf. Er hatte sich immer noch nicht von dem Schock erholt, den ihm die Prozesse gegen ein paar seiner Kollegen und die Gefängnisstrafen vor ungefähr zehn Jahren versetzt hatten. Er war zwar nicht gerade blauäugig, aber doch irgendwie romantisch veranlagt. An gewisse Dinge glaubte er einfach: an England, die Queen, das Fußballtoto. Wenn er Peter Gere, den Dorfpolizisten, betrachtete, empfand er echten Respekt. Es war nicht gerade einfach, auf fremdem Terrain zu operieren.
    Trotzdem – ein hübsches Nest, dachte Jury, als er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte und auf die Grünanlage blickte. Nicht einmal die Polizei, die in das Dorf eingefallen war, hatte es aus seinem goldenen Septemberschlaf geweckt. Die Hauptstraße schien mit dem grauenvollen Verbrechen, das im Wald verübt worden war, nichts zu tun zu haben; es war, als hätte jemand einen Stein durch ein sonniges Fenster geworfen. Aus dem einzigen Gasthof des Dorfes, dem Bold Blue Boy, kam ein alter Mann herausgestolpert und schlurfte über die Grünanlage. Etwas weiter oben ging eine Frau mit einem Einkaufskorb über dem Arm in den Süßwarenladen. Nur die kleine Gruppe aus drei Dorfbewohnern, die anscheinend in der Mitte der Grünanlage aufeinandergestoßen waren, bezeugte, daß etwas im Gange war, denn es wurde eifrig gestikuliert und immer wieder auf die Polizeiwache gedeutet.
    Nein, nicht drei, sondern vier Personen. Ein kleines Mädchen war aus der Gruppe herausgetreten und starrte auf die Polizeiwache oder auf den Wagen der Kriminalpolizei oder auch auf beides.
    Jury hörte Wiggins und Gere nur mit halbem Ohr zu. Er war überzeugt, daß die Ermordete keine Einheimische war – man sah ihr London schon von weitem an. Auf der Oxford Street und der Regent Street liefen Dutzende solcher Mädchen herum. Warum die Sache komplizierter machen?
    Während Jury beobachtete, wie die Kleine mit dem blonden Strubbelkopf eine Art seitlichen Tanzschritt ausführte, sagte er zu den beiden Stimmen hinter sich: «Vielleicht war’s so. Aber wo ist dann ihr eigener Mantel?»
    Über den Verbleib des ursprünglichen Mantels schienen sie sich jedoch keine Gedanken gemacht zu haben. Keiner antwortete ihm.
    Die Sonne, die durch die Jalousien fiel, malte zitronengelbe Streifen auf den Boden. Jury schaute wieder auf die Grünanlage hinaus. Die Gruppe hatte sich verkleinert; übriggeblieben waren der ältere Mann und das kleine Mädchen. Er löste sich von ihr und steuerte zielsicher auf die Polizeiwache zu. Das kleine Mädchen folgte ihm, aber immer in einem gewissen Abstand. Er hatte auffallend weite Kniebundhosen an; sie trug eine Reitjacke mit zu kurzen Ärmeln.
    «Sir, können wir nicht in den Gasthof rübergehen?» fragte Wiggins leidend. «Im Wald war es furchtbar feucht.»
    «Sicher. Aber wer kommt denn da den Weg hoch, Peter?»
     
    Ein Schwarm Drosseln, die bisher mit einer Brotrinde beschäftigt gewesen waren, flatterten über dem Kopf des älteren Mannes, als wollten sie ihr Nest dort bauen. Jury beobachtete, wie er mit seinem Stock nach ihnen schlug. Bevor er wie eine steife Septemberbrise in den Raum gefegt kam, tauchten sein Gesicht und Brustkorb in der Glastür auf, einem Wasserspeier zum Verwechseln ähnlich.
    «Peter! Das ist doch wohl die Höhe! Ich höre, im Wald von Horndean ist eine Leiche gefunden worden!» Sein Tonfall verriet, daß der Ortspolizist für diesen Unfug möglichst rasch eine Erklärung zu liefern habe, da er sich sonst gezwungen sähe, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.
    Jury erkannte in Sir Miles Bodenheim (von Gere betont lustlos vorgestellt) jenen Typ des Landadligen, der mit seiner Zeit nichts anderes anzufangen weiß, als sich in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken. «Sind Sie im Besitz von Informationen, die Ihnen wichtig erscheinen, Sir Miles?»
    «Ich weiß überhaupt nichts. Ich verstehe nur nicht, wieso die Polizei es für notwendig hält, über meine Südwiese zu trampeln?»
    «Ihr Gut liegt in der Nähe des Waldes von Horndean?» fragte Jury.
    «Ja, das tut es. Genauer gesagt, es grenzt

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