Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden
ließ, daß ihre Mitspieler keine Chance hatten, die von ihr genannte Zahl zu kontrollieren, und in ohnmächtiger Wut mitansehen mußten, wie diese Person mit den scharfen Gesichtszügen ihre Spielmarke ungehindert vorschob und genau auf das Feld setzte, das ihren unternehmerischen Absichten den größten Profit versprach. Wie durch ein Wunder kam es nicht zu offenem Aufruhr, doch die Geschwindigkeit, mit der sie ihre Rivalen auf dem Immobilienmarkt in den Bankrott trieb, erzeugte böses Blut und hinterließ allgemein Mißstimmung; es gab allerdings auch ein paar großzügige Gemüter, die ihre Raffgier eher amüsiert betrachteten. Sarah war ein paarmal nahe daran gewesen einzugreifen, hatte es aber unterlassen: Die Frau sah nicht danach aus, als würde sie jemals ein Hotel in der Park Lane oder in Mayfair auch nur betreten, und schließlich war der Preis, den sie stolz davontrug, jämmerlich genug: eine billige Flasche ziemlich süßen Sherry. Allein die Billard- und Tischtennis-Wettkämpfe liefen völlig problemlos, und am Ende zeigte sich sogar, daß Sarah, was das Darts-Turnier anging, zu schwarz gesehen hatte. Laute Beifallsrufe kündeten davon, daß es der ältlichen, kleinen Putzfrau aus den Chilterns (die sich übrigens mit dem ehemaligen Gastwirt glänzend verstand) soeben gelungen war, dreimal hintereinander die Scheibe zu treffen.
Schiedsrichterin, Beraterin, Sachverständige — Sarah hatte sich Mühe gegeben, so gerecht wie möglich zu sein, und fand, sie habe ihre Sache für den Anfang ganz gut gemacht. Vor allem, wenn man bedachte, daß sie ja auch noch ihren Pflichten am Empfang hatte nachkommen müssen.
Das Hotel Haworth verfugte im Haupthaus über sechzehn Zimmer — zwei größere Räume für Familien, zehn Doppelzimmer und vier Einzelzimmer; hinzu kamen noch drei weitere Doppelzimmer sowie ein Einzelzimmer in der soeben erst teilweise eröffneten Dependance. Die Gästeliste für das Silvester-Arrangement umfaßte einschließlich der vier Kinder neununddreißig Namen. Und bis zum späten Nachmittag waren bis auf zwei Ehepaare und eine einzelne Dame alle eingetroffen. Irgendwann im Laufe des Vormittags hatte ihr Binyon, wie sie später gegenüber der Polizei zu Protokoll gab, einen trockenen Sherry gereicht, und so gegen halb zwei hatte sie hastig eine Wurst in Blätterteig hinuntergeschlungen und dazu ein Glas Rotwein getrunken. Aber danach hatte sie offenbar jedes Zeitgefühl verloren, so schien es jedenfalls den sie vernehmenden Beamten. Kurz vor Mittag waren die ersten großen Flocken gefallen, und gegen Abend war alles dick verschneit gewesen. Im Wetterbericht hatte es geheißen, daß für Mittel- und Südengland weitere Schneefalle zu erwarten seien. Das Wetter war vermutlich auch der Grund, warum, wie Sarah dem Beamten erklärte, ihres Wissens keiner der Gäste den Wunsch verspürt hatte, das Hotel noch einmal zu verlassen und sich Oxford anzuschauen. Andererseits könne sie das natürlich nicht mit absoluter Gewißheit behaupten. Sie sei den ganzen Nachmittag über derartig beschäftigt gewesen, Meldeformulare ausfüllen zu lassen, Zimmer zu zeigen, alle möglichen Fragen zu beantworten sowie im Spielraum nach dem Rechten zu sehen, daß sie es nicht unbedingt hätte bemerken müssen, falls ein Gast noch einmal weggegangen sei. Genausowenig, wie sie dafür garantieren könne, daß nicht irgendein Fremder sich während dieser Zeit unbemerkt eingeschlichen habe. Am frühen Abend hatte sich in zwei Zimmern der Dependance gezeigt, daß die Klempner gepfuscht hatten, und so hatte Binyon erneut auf seine Erfahrung als Hobby-Handwerker zurückgreifen müssen. Doch als er nach dem erfolgreichen Abschluß der Reparaturen zu Sarah an den Empfang trat — gerade eben war das vorletzte Ehepaar eingetroffen — , sah er eher zufrieden als gestresst aus.
«Bis jetzt ist alles ganz gut gelaufen, was, Sarah?»
«Ja, das finde ich auch, Mr. Binyon», sagte sie ruhig. Sie schätzte es nicht besonders, daß er sie vertraulich beim Vornamen nannte, und der Name «John» wäre ihr nie über die Lippen gekommen — diese vielleicht ein klein wenig zu vollen Lippen, die Binyon dennoch zu gern einmal geküßt hätte.
Während sie sich noch unterhielten, klingelte plötzlich das Telefon, und sie war ein bißchen erstaunt, mit welchem Eifer er sich auf den Apparat stürzte — fast als hätte er auf den Anruf gewartet.
«Mr. Binyon?» eine Frauenstimme. Doch Sarah konnte nicht verstehen, was sie sagte, da Binyon
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