Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden
mit Federn und allem möglichen anderen Klimbim auszustaffieren und für einen Abend lang eine andere Persönlichkeit anzunehmen. Vor zwei Jahren hatte das Hotel Haworth zum erstenmal zu einem Kostümfest geladen. Das Motto «Was wir trugen, als das Schiff sank» war mit Absicht so allgemein formuliert, um den Gästen die Möglichkeit zu geben, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen und ihnen die Rennerei nach Accessoires zu ersparen, die man benötigt, sobald bestimmte Kostüme vorgeschrieben sind. Im Jahr darauf hatte das Motto gelautet: «Die Welt des Sports» — auch hier sollte Raum bleiben für Ideen und Improvisation. Doch die Gäste, die sich dank der schon im Herbst erschienenen Broschüren frühzeitig informiert hatten, schienen es als Herausforderung ihrer Fähigkeit zur Perfektion aufgefaßt zu haben und erschienen durch die Bank in kompletten Ausrüstungen. In diesem Jahr hatte man deshalb darauf geachtet, bei der Wahl des Mottos dem Drang nach ausgetüftelten Kostümen Rechnung zu tragen. Die wurde dann auch tatsächlich kaum beachtet. Nur zwei oder drei Gäste hatten am Nachmittag darin herumgewühlt, um im letzten Moment noch ein paar passende Kleidungsstücke zu finden, während alle anderen offensichtlich ihre Kostüme schon lange vorher vollständig beisammen hatten. Dies ist übrigens gar nicht so erstaunlich, wenn man weiß, daß bei vielen das Kostüm-Gala-Diner den Ausschlag gegeben hatte, sich unter Dutzenden von Angeboten für das Hotel Haworth zu entscheiden. Die meisten Gäste setzten übrigens ihren Ehrgeiz darein, möglichst lange unerkannt zu bleiben. Auch Binyon hatte sich im letzten Jahr an diesem Sport beteiligt und sein Aussehen durch einen Rauschebart und eine Cricket-Kappe derart verändert, daß es selbst einen Angestellten nur ex negativo durch Ausschluß aller anderen Möglichkeiten gelungen war, ihm in seiner Tarnung als Dr. W. G. Grace auf die Schliche zu kommen.
Wie in den beiden Jahren zuvor waren die Gäste auch in diesem Jahr wieder so voller Enthusiasmus — von den achtunddreißig hatten nur sechs auf eine Kostümierung verzichtet — , daß sogar Sarah, sonst nicht gerade eine Freundin lauter Fröhlichkeit, insgeheim wünschte, sich der gutgelaunten Gesellschaft in dem zum Festsaal umfunktionierten Restaurant anschließen zu können. Der riesige Raum war trotz der Kälte draußen überraschend warm. Man hatte schon früh morgens die Heizung voll aufgedreht und außerdem in dem alten Kamin, der die Gäste ebenso unweigerlich entzückte wie er das Hotelpersonal zur Verzweiflung trieb, ein großes Feuer entfacht. Für die älteren unter den Festteilnehmern war dies Anlaß gewesen, sich an die Silvesterabende ihrer Kindheit zu erinnern, an die riesigen Schattengestalten, die im Schein des Feuers an den Wänden getanzt hatten, und an das Sprühen der Funken, wenn, schon spät in der Nacht, die letzten Holzkloben in sich zusammengefallen waren. Die anheimelnde und gleichzeitig festliche Wirkung des Kaminfeuers wurde noch unterstrichen durch zwei große Kerzen auf jedem der Tische, deren Schein warme kleine Lichtinseln im ansonsten halbdunklen Raum schuf.
Das einfachste wäre zweifellos gewesen, die ursprünglich angemeldeten neununddreißig Gäste an drei Tische à dreizehn Personen zu verteilen, aber da Binyon aus Erfahrung wußte, daß es immer noch überraschend viele Leute gab, die die Zahl dreizehn als böses Omen betrachteten, hatte er angeordnet, an den ersten und zweiten Tisch je vierzehn, an den dritten Tisch elf Personen zu setzen. Die Tische waren nur für zwei Gänge gedeckt. Schmale weiße Kärtchen verrieten dem Gast seinen Platz, man hatte darauf geachtet, daß zu Beginn des Abends — noch ganz konventionell — Ehepaare zusammen saßen. Die Tischkarten aber trugen neben dem Namen des Gastes, der auf diesem Platz sitzen sollte, in der rechten oberen Ecke auch noch zwei Zahlen — die Nummern der Tische, an denen der Gast den dritten und vierten sowie den fünften und sechsten Gang einnehmen sollte. Das System des Tische-Wechselns war im vergangenen Jahr zum erstenmal ausprobiert worden, und obwohl damals ein oder zwei Paare die Regelung stillschweigend sabotiert hatten, war der Zweck des Ganzen doch erreicht worden: die Gäste hatten sich untereinander kennengelernt. Das einzige Problem des Tische-Wechselns war technischer Art, es war etwas umständlich, die jeweiligen Beilagenteller von dem einen zum anderen Platz zu schaffen, aber auch hier
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