Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden

Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden

Titel: Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
verschwunden. Die Tür der Herrentoilette öffnete sich, und heraus trat ein in schreiende Farben gekleideter Mann, dessen Erscheinung ihr an jedem anderen Abend Unbehagen bereitet hätte, dem sie jetzt jedoch ein anerkennendes Lächeln schenkte. Es mußte ihn beträchtliche Zeit gekostet haben, sich derart überzeugend in einen kaffeebraunen Rastafari zu verwandeln — Dreadlocks inklusive. Offenbar war er mit dem Schminken gerade erst fertig geworden, denn während er an ihr vorbei ins Restaurant ging, rieb er mit einem Taschentuch die Innenseite seiner Hände ab. Das Taschentuch, früher wohl einmal weiß, wirkte jetzt eher bräunlich.
    Sarah nahm einen großen Schluck von ihrem reichlich bemessenen Cocktail. Sie fühlte, wie die Anspannung des Tages von ihr wich, und begann sich wohl zu fühlen. Sie warf einen Blick auf den Brief, der heute morgen eingetroffen war — der einzige übrigens, den sie erhalten hatten. Er stammte von einer Dame aus Cheltenham, die ihnen dankte, daß sie ihre Anfrage mit beantwortet hätten, um anschließend kritisch anzumerken, daß man, wenn man einen Brief mit der Anrede begänne, ihn nicht mit der Formel beenden könne. Sarah mußte unwillkürlich lächeln. Die Absenderin war vermutlich ein etwas pedantisches, überaus rücksichtsvolles und alles in allem ganz reizendes älteres Fräulein. Als sie aufsah, bemerkte sie, daß Binyon neben ihr stand.
    «Noch einen Cocktail?» fragte er.
    «Ja, gerne», hörte sie sich sagen.

    Was war danach geschehen? Sie konnte sich daran erinnern, sehr deutlich sogar, wie sie nach dem Consommé geholfen hatte abzuräumen und wie sie die überzähligen Löffel und Gabeln von dem ursprünglich für Doris Arkwright vorgesehenen Platz weggenommen hatte. Sie wußte auch noch, daß sie danach in die Küche gegangen war. Sie hatte danebengestanden, als eines der Koteletts Normandie von der Platte gerutscht und auf dem Fußboden gelandet war, und war Zeugin geworden, wie der Koch das Stück Fleisch genommen und ungerührt wieder zurückgelegt hatte. Im weiteren Verlauf des Abends hatte sie noch einen dritten Cocktail getrunken, sich mit Binyon im Walzertakt gewiegt, in der Küche zwei Stück Erdbeertorte gegessen und anschließend im schummrigen Licht des als Festsaal hergerichteten Restaurants mit dem Rastafari eine Art Chiaroscuro-Cha-Cha-Cha getanzt. Der geheimnisvolle Kaffeebraune hatte übrigens gerade vorher — zu Recht, wie Sarah fand — beim Kostümwettbewerb der Herren den ersten Preis errungen. Irgendwann danach hatte sie Binyon zurechtweisen müssen, der allen Ernstes vorgeschlagen hatte, einen kurzen Abstecher in ihre provisorische Unterkunft, genauer gesagt in ihr Bett, zu machen. Aus lauter Ärger hatte sie noch einen vierten Cocktail getrunken, dessen Farbe ihr allerdings nicht mehr recht einfallen wollte. Danach war ihr schlecht geworden. Sie war deshalb, noch bevor man unten angestimmt hatte, auf ihr Zimmer gegangen. Dort war ihr dann erst so richtig übel geworden, aber irgendwie hatte sie es noch geschafft, sich auszuziehen und ins Bett zu legen. Soweit ihre Erinnerung an den Abend. («Aber es müssen doch an dem Abend noch eine ganze Menge andere Dinge passiert sein, Miss Jonstone? Es mögen in Ihren Augen vielleicht Kleinigkeiten sein, aber versuchen Sie trotzdem, sich zu erinnern!») Sie hatten natürlich recht, es waren tatsächlich noch eine Menge andere Dinge passiert. Irgendwann nach Mitternacht, es mußte so gegen halb ein Uhr gewesen sein, hatte die Musik aufgehört, und die Gäste waren aus dem Festsaal gekommen. Wahrscheinlich war sie durch das laute Türenschlagen aufgewacht. Sie erinnerte sich, daß sie aufgestanden und ans Fenster getreten war, weil sie draußen Stimmen gehört hatte; es waren die Gäste aus der Dependance gewesen, auf dem Weg zu ihren Zimmern. Das erste Grüppchen bestand aus zwei Frauen in hellen, gefutterten Regenmänteln, zwischen sich den Rastafari, je eine Hand auf seiner Schulter. Diesem Trio folgte in einigem Abstand ein zweites: in der Mitte die Frau im Tschador, die sie auf den Graffito aufmerksam gemacht hatte, einen Samurai zur Rechten und Lawrence of Arabia zur Linken. Das Schlußlicht bildete Binyon, der sich zum Schutz gegen die Kälte einen dicken Mantel über seinen Scharfrichterumhang gezogen hatte. Sie waren alle (ja, auch Binyon!) in der Dependance verschwunden; ihr Chef war jedoch nach kurzer Zeit

Weitere Kostenlose Bücher